The Project Gutenberg EBook of Emilia Galotti, by Gotthold Ephraim Lessing
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Title: Emilia Galotti
Author: Gotthold Ephraim Lessing
Release Date: October, 2005 [EBook #9108]
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[This file was first posted on September 7, 2003]
Edition: 10
Language: German
Character set encoding: ISO Latin-1
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EMILIA GALOTTI ***
Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau.
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EMILIA GALOTTI
von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING
Personen:
Emilia Galotti
Odoardo und Claudia Galotti, Eltern der Emilia
Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla
Marinelli, Kammerherr des Prinzen
Camillo Rota, einer von des Prinzen Raeten
Conti, Maler
Graf Appiani
Graefin Orsina
Angelo und einige Bediente
Odoardo und Claudia Galotti, Eltern der Emilia
Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla
Marinelli, Kammerherr des Prinzen
Camillo Rota, einer von des Prinzen Raeten
Conti, Maler
Graf Appiani
Graefin Orsina
Angelo und einige Bediente
Erster Aufzug
Die Szene: ein Kabinett des Prinzen.
Erster Auftritt
Der Prinz (an einem Arbeitstische voller Briefschaften und Papiere,
deren einige er durchlaeuft). Klagen, nichts als Klagen!
Bittschriften, nichts als Bittschriften!—Die traurigen Geschaefte; und
man beneidet uns noch!—Das glaub ich; wenn wir allen helfen koennten:
dann waeren wir zu beneiden.—Emilia? (Indem er noch eine von den
Bittschriften aufschlaegt und nach dem unterschriebenen Namen sieht.)
Eine Emilia?—Aber eine Emilia Bruneschi—nicht Galotti. Nicht Emilia
Galotti!—Was will sie, diese Emilia Bruneschi? (Er lieset.) Viel
gefodert, sehr viel.—Doch sie heisst Emilia. Gewaehrt! (Er
unterschreibt und klingelt, worauf ein Kammerdiener hereintritt.) Es
ist wohl noch keiner von den Raeten in dem Vorzimmer?
Der Kammerdiener. Nein.
Der Prinz. Ich habe zu frueh Tag gemacht.—Der Morgen ist so schoen.
Ich will ausfahren. Marchese Marinelli soll mich begleiten. Lasst ihn
rufen. (Der Kammerdiener geht ab.)—Ich kann doch nicht mehr arbeiten.
—Ich war so ruhig, bild ich mir ein, so ruhig—Auf einmal muss eine
arme Bruneschi Emilia heissen:—weg ist meine Ruhe, und alles!—Der
Kammerdiener (welcher wieder hereintritt). Nach dem Marchese ist
geschickt. Und hier, ein Brief von der Graefin Orsina.
Der Prinz. Der Orsina? Legt ihn hin.
Der Kammerdiener. Ihr Laeufer wartet.
Der Prinz. Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf.—Wo ist
sie? In der Stadt? oder auf ihrer Villa?
Der Kammerdiener. Sie ist gestern in die Stadt gekommen.
Der Prinz. Desto schlimmer—besser, wollt' ich sagen. So braucht der
Laeufer um so weniger zu warten. (Der Kammerdiener geht ab.) Meine
teure Graefin! (Bitter, indem er den Brief in die Hand nimmt) So gut,
als gelesen! (und ihn wieder wegwirft.)—Nun ja; ich habe sie zu
lieben geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann sein, ich habe sie
auch wirklich geliebt. Aber—ich habe!
Der Kammerdiener (der nochmals hereintritt). Der Maler Conti will die
Gnade haben-Der Prinz. Conti? Recht wohl; lasst ihn hereinkommen.
—Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen. (Steht auf.)
Gnade haben-Der Prinz. Conti? Recht wohl; lasst ihn hereinkommen.
—Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen. (Steht auf.)
Zweiter Auftritt
Conti. Der Prinz.
Der Prinz. Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst?
Conti. Prinz, die Kunst geht nach Brot.
Der Prinz. Das muss sie nicht; das soll sie nicht—in meinem kleinen
Gebiete gewiss nicht.—Aber der Kuenstler muss auch arbeiten wollen.
Gebiete gewiss nicht.—Aber der Kuenstler muss auch arbeiten wollen.
Conti. Arbeiten? Das ist seine Lust. Nur zu viel arbeiten muessen
kann ihn um den Namen Kuenstler bringen.
Der Prinz. Ich meine nicht vieles, sondern viel; ein weniges, aber
mit Fleiss.—Sie kommen doch nicht leer, Conti?
Conti. Ich bringe das Portraet, welches Sie mir befohlen haben,
gnaediger Herr. Und bringe noch eines, welches Sie mir nicht befohlen:
aber weil es gesehen zu werden verdient—Der Prinz. Jenes ist?—Kann
ich mich doch kaum erinnern—Conti. Die Graefin Orsina.
Der Prinz. Wahr!—Der Auftrag ist nur ein wenig von lange her.
Conti. Unsere schoenen Damen sind nicht alle Tage zum Malen. Die
Graefin hat, seit drei Monaten, gerade einmal sich entschliessen koennen
zu sitzen.
Der Prinz. Wo sind die Stuecke?
Conti. In dem Vorzimmer, ich hole sie.
Dritter Auftritt
Der Prinz. Ihr Bild!—mag!—Ihr Bild, ist sie doch nicht selber.—Und
vielleicht find ich in dem Bilde wieder, was ich in der Person nicht
mehr erblicke.—Ich will es aber nicht wiederfinden.—Der
beschwerliche Maler! Ich glaube gar, sie hat ihn bestochen.—Waer' es
auch! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit andern Farben, auf einen
andern Grund gemalet ist—in meinem Herzen wieder Platz machen will:
—Wahrlich, ich glaube, ich waer' es zufrieden. Als ich dort liebte,
war ich immer so leicht, so froehlich, so ausgelassen.—Nun bin ich von
allem das Gegenteil.—Doch nein; nein, nein! Behaeglicher oder nicht
behaeglicher: ich bin so besser.
Vierter Auftritt
Der Prinz. Conti mit den Gemaelden, wovon er das eine verwandt gegen
einen Stuhl lehnet.
Conti (indem er das andere zurechtstellet). Ich bitte, Prinz, dass Sie
die Schranken unserer Kunst erwaegen wollen. Vieles von dem
Anzueglichsten der Schoenheit liegt ganz ausser den Grenzen derselben.
—Treten Sie so!—Der Prinz (nach einer kurzen Betrachtung).
Vortrefflich, Conti—ganz vortrefflich!—Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem
Pinsel.—Aber geschmeichelt, Conti; ganz unendlich geschmeichelt!
die Schranken unserer Kunst erwaegen wollen. Vieles von dem
Anzueglichsten der Schoenheit liegt ganz ausser den Grenzen derselben.
—Treten Sie so!—Der Prinz (nach einer kurzen Betrachtung).
Vortrefflich, Conti—ganz vortrefflich!—Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem
Pinsel.—Aber geschmeichelt, Conti; ganz unendlich geschmeichelt!
Conti. Das Original schien dieser Meinung nicht zu sein. Auch ist es
in der Tat nicht mehr geschmeichelt, als die Kunst schmeicheln muss.
Die Kunst muss malen, wie sich die plastische Natur—wenn es eine
gibt—das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerstrebende
Stoff unvermeidlich macht; ohne den Verderb, mit welchem die Zeit
dagegen ankaempfet.
Der Prinz. Der denkende Kuenstler ist noch eins soviel wert.—Aber das
Original, sagen Sie, fand demungeachtet—Conti. Verzeihen Sie, Prinz.
Das Original ist eine Person, die meine Ehrerbietung fodert. Ich habe
nichts Nachteiliges von ihr aeussern wollen.
Original, sagen Sie, fand demungeachtet—Conti. Verzeihen Sie, Prinz.
Das Original ist eine Person, die meine Ehrerbietung fodert. Ich habe
nichts Nachteiliges von ihr aeussern wollen.
Der Prinz. Soviel als Ihnen beliebt!—Und was sagte das Original?
Conti. Ich bin zufrieden, sagte die Graefin, wenn ich nicht haesslicher
aussehe.
Der Prinz. Nicht haesslicher?—O das wahre Original!
Conti. Und mit einer Miene sagte sie das—von der freilich dieses ihr
Bild keine Spur, keinen Verdacht zeiget.
Bild keine Spur, keinen Verdacht zeiget.
Der Prinz. Das meint' ich ja; das ist es eben, worin ich die
unendliche Schmeichelei finde.—Oh! ich kenne sie, jene stolze,
hoehnische Miene, die auch das Gesicht einer Grazie entstellen wuerde!
—Ich leugne nicht, dass ein schoener Mund, der sich ein wenig spoettisch
verziehet, nicht selten um so viel schoener ist. Aber, wohl gemerkt,
ein wenig: die Verziehung muss nicht bis zur Grimasse gehen, wie bei
dieser Graefin. Und Augen muessen ueber den wolluestigen Spoetter die
Aufsicht fuehren—Augen, wie sie die gute Graefin nun gerade gar nicht
hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat.
Conti. Gnaediger Herr, ich bin aeusserst betroffen—Der Prinz. Und
worueber? Alles, was die Kunst aus den grossen, hervorragenden, stieren,
starren Medusenaugen der Graefin Gutes machen kann, das haben Sie,
Conti, redlich daraus gemacht.—Redlich, sag ich?—Nicht so redlich,
waere redlicher. Denn sagen Sie selbst, Conti, laesst sich aus diesem
Bilde wohl der Charakter der Person schliessen? Und das sollte doch.
Stolz haben Sie in Wuerde, Hohn in Laecheln, Ansatz zu truebsinniger
Schwaermerei in sanfte Schwermut verwandelt.
Conti (etwas aergerlich). Ah, mein Prinz—wir Maler rechnen darauf,
dass das fertige Bild den Liebhaber noch ebenso warm findet, als warm
er es bestellte. Wir malen mit Augen der Liebe: und Augen der Liebe
muessten uns auch nur beurteilen.
Der Prinz. Je nun, Conti—warum kamen Sie nicht einen Monat frueher
damit?—Setzen Sie weg.—Was ist das andere Stueck?
Conti (indem er es holt und noch verkehrt in der Hand haelt). Auch ein
weibliches Portraet.
Der Prinz. So moecht' ich es bald—lieber gar nicht sehen. Denn dem
Ideal hier (mit dem Finger auf die Stirne)—oder vielmehr hier (mit
dem Finger auf das Herz) koemmt es doch nicht bei.—Ich wuenschte, Conti,
Ihre Kunst in andern Vorwuerfen zu bewundern.
Ideal hier (mit dem Finger auf die Stirne)—oder vielmehr hier (mit
dem Finger auf das Herz) koemmt es doch nicht bei.—Ich wuenschte, Conti,
Ihre Kunst in andern Vorwuerfen zu bewundern.
Conti. Eine bewundernswuerdigere Kunst gibt es, aber sicherlich keinen
bewundernswuerdigern Gegenstand als diesen.
Der Prinz. So wett ich, Conti, dass es des Kuenstlers eigene Gebieterin
ist.—(Indem der Maler das Bild umwendet.) Was seh ich? Ihr Werk,
Conti? oder das Werk meiner Phantasie?—Emilia Galotti!
Conti. Wie, mein Prinz? Sie kennen diesen Engel?
Der Prinz (indem er sich zu fassen sucht, aber ohne ein Auge von dem
Bilde zu verwenden). So halb!—um sie eben wiederzukennen.—Es ist
einige Wochen her, als ich sie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf.
—Nachher ist sie mir nur an heiligen Staetten wieder vorgekommen—wo
das Angaffen sich weniger ziemet.—Auch kenn ich ihren Vater. Er ist
mein Freund nicht. Er war es, der sich meinen Anspruechen auf
Sabionetta am meisten widersetzte.—Ein alter Degen, stolz und rauh,
sonst bieder und gut!-Conti. Der Vater! Aber hier haben wir seine
Tochter.
Der Prinz. Bei Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen! (Noch immer die
Augen auf das Bild geheftet.) Oh, Sie wissen es ja wohl, Conti, dass
man den Kuenstler dann erst recht lobt, wenn man ueber sein Werk sein
Lob vergisst.
Augen auf das Bild geheftet.) Oh, Sie wissen es ja wohl, Conti, dass
man den Kuenstler dann erst recht lobt, wenn man ueber sein Werk sein
Lob vergisst.
Conti. Gleichwohl hat mich dieses noch sehr unzufrieden mit mir
gelassen.—Und doch bin ich wiederum sehr zufrieden mit meiner
Unzufriedenheit mit mir selbst.—Ha! dass wir nicht unmittelbar mit den
Augen malen! Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den
Pinsel, wieviel geht da verloren!—Aber, wie ich sage, dass ich es weiss,
was hier verlorengegangen und wie es verlorengegangen und warum es
verlorengehen muessen: darauf bin ich ebenso stolz und stolzer, als ich
auf alles das bin, was ich nicht verlorengehen lassen. Denn aus jenem
erkenne ich, mehr als aus diesem, dass ich wirklich ein grosser Maler
bin, dass es aber meine Hand nur nicht immer ist.—Oder meinen Sie,
Prinz, dass Raffael nicht das groesste malerische Genie gewesen waere,
wenn er ungluecklicherweise ohne Haende waere geboren worden? Meinen Sie,
Prinz?
Der Prinz (indem er nur eben von dem Bilde wegblickt). Was sagen Sie,
Conti? Was wollen Sie wissen?
Conti? Was wollen Sie wissen?
Conti. O nichts, nichts!—Plauderei! Ihre Seele, merk ich, war ganz
in Ihren Augen. Ich liebe solche Seelen und solche Augen.
Der Prinz (mit einer erzwungenen Kaelte). Also, Conti, rechnen Sie
doch wirklich Emilia Galotti mit zu den vorzueglichsten Schoenheiten
unserer Stadt?
Conti. Also? mit? mit zu den vorzueglichsten? und den vorzueglichsten
unserer Stadt?—Sie spotten meiner, Prinz. Oder Sie sahen die ganze
Zeit ebensowenig, als Sie hoerten.
Der Prinz. Lieber Conti—(die Augen wieder auf das Bild gerichtet,)
wie darf unsereiner seinen Augen trauen? Eigentlich weiss doch nur
allein ein Maler von der Schoenheit zu urteilen.
Conti. Und eines jeden Empfindung sollte erst auf den Ausspruch eines
Malers warten?—Ins Kloster mit dem, der es von uns lernen will, was
schoen ist! Aber das muss ich Ihnen doch als Maler sagen, mein Prinz:
eine von den groessten Glueckseligkeiten meines Lebens ist es, dass Emilia
Galotti mir gesessen. Dieser Kopf, dieses Antlitz, diese Stirne,
diese Augen, diese Nase, dieser Mund, dieses Kinn, dieser Hals, diese
Brust, dieser Wuchs, dieser ganze Bau, sind, von der Zeit an, mein
einziges Studium der weiblichen Schoenheit.—Die Schilderei selbst,
wovor sie gesessen, hat ihr abwesender Vater bekommen. Aber diese
Kopie—Der Prinz (der sich schnell gegen ihn kehret). Nun, Conti? ist
doch nicht schon versagt?
Conti. Ist fuer Sie, Prinz, wenn Sie Geschmack daran finden.
Der Prinz. Geschmack!—(Laechelnd.) Dieses Ihr Studium der weiblichen
Schoenheit, Conti, wie koennt' ich besser tun, als es auch zu dem
meinigen zu machen?—Dort, jenes Portraet nehmen Sie nur wieder
mit—einen Rahmen darum zu bestellen.
Conti. Wohl!
Der Prinz. So schoen, so reich, als ihn der Schnitzer nur machen kann.
Es soll in der Galerie aufgestellet werden.—Aber dieses bleibt hier.
Mit einem Studio macht man soviel Umstaende nicht: auch laesst man das
nicht aufhaengen, sondern hat es gern bei der Hand.—Ich danke Ihnen,
Conti; ich danke Ihnen recht sehr.—Und wie gesagt: in meinem Gebiete
soll die Kunst nicht nach Brot gehen—bis ich selbst keines habe.
—Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeister, und lassen Sie, auf
Ihre Quittung, fuer beide Portraete sich bezahlen—was Sie wollen.
Soviel Sie wollen, Conti.
Es soll in der Galerie aufgestellet werden.—Aber dieses bleibt hier.
Mit einem Studio macht man soviel Umstaende nicht: auch laesst man das
nicht aufhaengen, sondern hat es gern bei der Hand.—Ich danke Ihnen,
Conti; ich danke Ihnen recht sehr.—Und wie gesagt: in meinem Gebiete
soll die Kunst nicht nach Brot gehen—bis ich selbst keines habe.
—Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeister, und lassen Sie, auf
Ihre Quittung, fuer beide Portraete sich bezahlen—was Sie wollen.
Soviel Sie wollen, Conti.
Conti. Sollte ich doch nun bald fuerchten, Prinz, dass Sie so noch
etwas anders belohnen wollen als die Kunst.
Der Prinz. O des eifersuechtigen Kuenstlers! Nicht doch!—Hoeren Sie,
Conti; soviel Sie wollen. (Conti geht ab.)
Conti; soviel Sie wollen. (Conti geht ab.)
Fuenfter Auftritt
Der Prinz. Soviel er will!—(Gegen das Bild.) Dich hab ich fuer jeden
Preis noch zu wohlfeil.—Ah! schoenes Werk der Kunst, ist es wahr, dass
ich dich besitze?—Wer dich auch besaesse, schoenres Meisterstueck der
Natur!—Was Sie dafuer wollen, ehrliche Mutter! Was du willst, alter
Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur!—Am liebsten kauft' ich dich,
Zauberin, von dir selbst!—Dieses Auge voll Liebreiz und
Bescheidenheit! Dieser Mund!—Und wenn er sich zum Reden oeffnet! wenn
er laechelt! Dieser Mund!—Ich hoere kommen.—Noch bin ich mit dir zu
neidisch. (Indem er das Bild gegen die Wand drehet.) Es wird
Marinelli sein. Haett' ich ihn doch nicht rufen lassen! Was fuer einen
Morgen koennt' ich haben!
Sechster Auftritt
Marinelli. Der Prinz.
Marinelli. Gnaediger Herr, Sie werden verzeihen.—Ich war mir eines so
fruehen Befehls nicht gewaertig.
Der Prinz. Ich bekam Lust, auszufahren. Der Morgen war so schoen.
—Aber nun ist er ja wohl verstrichen; und die Lust ist mir vergangen.
—(Nach einem kurzen Stillschweigen.) Was haben wir Neues, Marinelli?
—Aber nun ist er ja wohl verstrichen; und die Lust ist mir vergangen.
—(Nach einem kurzen Stillschweigen.) Was haben wir Neues, Marinelli?
Marinelli. Nichts von Belang, das ich wuesste.—Die Graefin Orsina ist
gestern zur Stadt gekommen.
Der Prinz. Hier liegt auch schon ihr guter Morgen (auf ihren Brief
zeigend) oder was es sonst sein mag! Ich bin gar nicht neugierig
darauf.—Sie haben sie gesprochen?
Marinelli. Bin ich, leider, nicht ihr Vertrauter?—Aber, wenn ich es
wieder von einer Dame werde, der es einkoemmt, Sie in gutem Ernste zu
lieben, Prinz: so—Der Prinz. Nichts verschworen, Marinelli!
Marinelli. Ja? In der Tat, Prinz? Koennt' es doch kommen?—Oh! so
mag die Graefin auch so unrecht nicht haben.
Der Prinz. Allerdings, sehr unrecht!—Meine nahe Vermaehlung mit der
Prinzessin von Massa will durchaus, dass ich alle dergleichen Haendel
fuers erste abbreche.
Marinelli. Wenn es nur das waere: so muesste freilich Orsina sich in ihr
Schicksal ebensowohl zu finden wissen als der Prinz in seines.
Schicksal ebensowohl zu finden wissen als der Prinz in seines.
Der Prinz. Das unstreitig haerter ist als ihres. Mein Herz wird das
Opfer eines elenden Staatsinteresse. Ihres darf sie nur zuruecknehmen,
aber nicht wider Willen verschenken.
Marinelli. Zuruecknehmen? Warum zuruecknehmen? fragt die Graefin: wenn
es weiter nichts als eine Gemahlin ist, die dem Prinzen nicht die
Liebe, sondern die Politik zufuehret? Neben so einer Gemahlin sieht
die Geliebte noch immer ihren Platz. Nicht so einer Gemahlin fuerchtet
sie aufgeopfert zu sein, sondern—Der Prinz. Einer neuen Geliebten.
—Nun denn? Wollten Sie mir daraus ein Verbrechen machen, Marinelli?
Marinelli. Ich?—Oh! vermengen Sie mich ja nicht, mein Prinz, mit der
Naerrin, deren Wort ich fuehre—aus Mitleid fuehre. Denn gestern,
wahrlich, hat sie mich sonderbar geruehret. Sie wollte von ihrer
Angelegenheit mit Ihnen gar nicht sprechen. Sie wollte sich ganz
gelassen und kalt stellen. Aber mitten in dem gleichgueltigsten
Gespraeche entfuhr ihr eine Wendung, eine Beziehung ueber die andere,
die ihr gefoltertes Herz verriet. Mit dem lustigsten Wesen sagte sie
die melancholischsten Dinge: und wiederum die laecherlichsten Possen
mit der allertraurigsten Miene. Sie hat zu den Buechern ihre Zuflucht
genommen; und ich fuerchte, die werden ihr den Rest geben.
Der Prinz. So wie sie ihrem armen Verstande auch den ersten Stoss
gegeben.—Aber was mich vornehmlich mit von ihr entfernt hat, das
wollen Sie doch nicht brauchen, Marinelli, mich wieder zu ihr
zurueckzubringen?—Wenn sie aus Liebe naerrisch wird, so waere sie es,
frueher oder spaeter, auch ohne Liebe geworden—Und nun, genug von ihr.
—Von etwas andern!—Geht denn gar nichts vor in der Stadt?—Marinelli.
So gut wie gar nichts.—Denn dass die Verbindung des Grafen Appiani
heute vollzogen wird—ist nicht viel mehr als gar nichts.
Der Prinz. Des Grafen Appiani? und mit wem denn?—Ich soll ja noch
hoeren, dass er versprochen ist.
Marinelli. Die Sache ist sehr geheimgehalten worden. Auch war nicht
viel Aufhebens davon zu machen.—Sie werden lachen, Prinz.—Aber so
geht es den Empfindsamen! Die Liebe spielet ihnen immer die
schlimmsten Streiche. Ein Maedchen ohne Vermoegen und ohne Rang hat ihn
in ihre Schlinge zu ziehen gewusst—mit ein wenig Larve, aber mit
vielem Prunke von Tugend und Gefuehl und Witz—und was weiss ich?
Der Prinz. Wer sich den Eindruecken, die Unschuld und Schoenheit auf
ihn machen, ohne weitere Ruecksicht, so ganz ueberlassen darf—ich
daechte, der waere eher zu beneiden als zu belachen.—Und wie heisst denn
die Glueckliche? Denn bei alledem ist Appiani—ich weiss wohl, dass Sie,
Marinelli, ihn nicht leiden koennen; ebensowenig als er Sie—, bei
alledem ist er doch ein sehr wuerdiger junger Mann, ein schoener Mann,
ein reicher Mann, ein Mann voller Ehre. Ich haette sehr gewuenscht, ihn
mir verbinden zu koennen. Ich werde noch darauf denken.
Marinelli. Wenn es nicht zu spaet ist.—Denn soviel ich hoere, ist sein
Plan gar nicht, bei Hofe sein Glueck zu machen.—Er will mit seiner
Gebieterin nach seinen Taelern von Piemont—Gemsen zu jagen, auf den
Alpen, und Murmeltiere abzurichten.—Was kann er Besseres tun? Hier
ist es durch das Missbuendnis, welches er trifft, mit ihm doch aus. Der
Zirkel der ersten Haeuser ist ihm von nun an verschlossen—Der Prinz.
Mit euren ersten Haeusern!—in welchen das Zeremoniell, der Zwang, die
Langeweile und nicht selten die Duerftigkeit herrschet.—Aber so nennen
Sie mir sie doch, der er dieses so grosse Opfer bringt.
Plan gar nicht, bei Hofe sein Glueck zu machen.—Er will mit seiner
Gebieterin nach seinen Taelern von Piemont—Gemsen zu jagen, auf den
Alpen, und Murmeltiere abzurichten.—Was kann er Besseres tun? Hier
ist es durch das Missbuendnis, welches er trifft, mit ihm doch aus. Der
Zirkel der ersten Haeuser ist ihm von nun an verschlossen—Der Prinz.
Mit euren ersten Haeusern!—in welchen das Zeremoniell, der Zwang, die
Langeweile und nicht selten die Duerftigkeit herrschet.—Aber so nennen
Sie mir sie doch, der er dieses so grosse Opfer bringt.
Marinelli. Es ist eine gewisse Emilia Galotti.
Der Prinz. Wie, Marinelli? eine gewisse—Marinelli. Emilia Galotti.
Der Prinz. Emilia Galotti?—Nimmermehr!
Marinelli. Zuverlaessig, gnaediger Herr.
Der Prinz. Nein, sag ich; das ist nicht, das kann nicht sein.—Sie
irren sich in dem Namen.—Das Geschlecht der Galotti ist gross.—Eine
Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti, nicht Emilia!
Marinelli. Emilia—Emilia Galotti!
Der Prinz. So gibt es noch eine, die beide Namen fuehrt.—Sie sagten
ohnedem, eine gewisse Emilia Galotti—eine gewisse. Von der rechten
kann nur ein Narr so sprechen—Marinelli. Sie sind ausser sich,
gnaediger Herr.—Kennen Sie denn diese Emilia?
Der Prinz. Ich habe zu fragen, Marinelli, nicht Er.—Emilia Galotti?
Die Tochter des Obersten Galotti, bei Sabionetta?
Die Tochter des Obersten Galotti, bei Sabionetta?
Marinelli. Ebendie.
Der Prinz. Die hier in Guastalla mit ihrer Mutter wohnet?
Marinelli. Ebendie.
Der Prinz. Unfern der Kirche Allerheiligen?
Marinelli. Ebendie.
Der Prinz. Mit einem Worte—(Indem er nach dem Portraete springt und
es dem Marinelli in die Hand gibt.) Da!—Diese? Diese Emilia
Galotti?—Sprich dein verdammtes "Ebendie" noch einmal und stoss mir
den Dolch ins Herz!
Marinelli. Ebendie!
Der Prinz. Henker!—Diese?—Diese Emilia Galotti wird heute—Marinelli.
Graefin Appiani!—(Hier reisst der Prinz dem Marinelli das Bild wieder
aus der Hand und wirft es beiseite.) Die Trauung geschiehet in der
Stille, auf dem Landgute des Vaters bei Sabionetta. Gegen Mittag
fahren Mutter und Tochter, der Graf und vielleicht ein paar Freunde
dahin ab.
Der Prinz (der sich voll Verzweiflung in einen Stuhl wirft). So bin
ich verloren!—So will ich nicht leben!
Marinelli. Aber was ist Ihnen, gnaediger Herr?
Der Prinz (der gegen ihn wieder aufspringt). Verraeter!—was mir
ist?—Nun ja, ich liebe sie; ich bete sie an. Moegt ihr es doch wissen!
Moegt ihr es doch laengst gewusst haben, alle ihr, denen ich der tollen
Orsina schimpfliche Fesseln lieber ewig tragen sollte!—Nur dass Sie,
Marinelli, der Sie so oft mich Ihrer innigsten Freundschaft
versicherten—O ein Fuerst hat keinen Freund! kann keinen Freund haben!
—, dass Sie, Sie, so treulos, so haemisch mir bis auf diesen Augenblick
die Gefahr verhehlen duerfen, die meiner Liebe drohte: wenn ich Ihnen
jemals das vergebe—so werde mir meiner Suenden keine vergeben!
Marinelli. Ich weiss kaum Worte zu finden, Prinz—wenn Sie mich auch
dazu kommen liessen—, Ihnen mein Erstaunen zu bezeigen.—Sie lieben
Emilia Galotti!—Schwur dann gegen Schwur: Wenn ich von dieser Liebe
das geringste gewusst, das geringste vermutet habe, so moege weder Engel
noch Heiliger von mir wissen!—Ebendas wollt' ich in die Seele der
Orsina schwoeren. Ihr Verdacht schweift auf einer ganz andern Faehrte.
Der Prinz. So verzeihen Sie mir, Marinelli—(indem er sich ihm in die
Arme wirft) und bedaueren Sie mich.
Arme wirft) und bedaueren Sie mich.
Marinelli. Nun da, Prinz! Erkennen Sie da die Frucht Ihrer
Zurueckhaltung!—"Fuersten haben keinen Freund! koennen keinen Freund
haben!"—Und die Ursache, wenn dem so ist?—Weil sie keinen haben
wollen.—Heute beehren sie uns mit ihrem Vertrauen, teilen uns ihre
geheimsten Wuensche mit, schliessen uns ihre ganze Seele auf: und morgen
sind wir ihnen wieder so fremd, als haetten sie nie ein Wort mit uns
gewechselt.
Der Prinz. Ah! Marinelli, wie konnt' ich Ihnen vertrauen, was ich
mir selbst kaum gestehen wollte?
Marinelli. Und also wohl noch weniger der Urheberin Ihrer Qual
gestanden haben?
Der Prinz. Ihr?—Alle meine Muehe ist vergebens gewesen, sie ein
zweites Mal zu sprechen.—Marinelli. Und das erstemal—Der Prinz.
Sprach ich sie—Oh, ich komme von Sinnen! Und ich soll Ihnen noch
lange erzaehlen?—Sie sehen mich einen Raub der Wellen: was fragen Sie
viel, wie ich es geworden? Retten Sie mich, wenn Sie koennen: und
fragen Sie dann.
Marinelli. Retten? ist da viel zu retten?—Was Sie versaeumt haben,
gnaediger Herr, der Emilia Galotti zu bekennen, das bekennen Sie nun
der Graefin Appiani. Waren, die man aus der ersten Hand nicht haben
kann, kauft man aus der zweiten:—und solche Waren nicht selten aus
der zweiten um so viel wohlfeiler.
Der Prinz. Ernsthaft, Marinelli, ernsthaft, oder—Marinelli. Freilich,
auch um so viel schlechter-Der Prinz. Sie werden unverschaemt!
Marinelli. Und dazu will der Graf damit aus dem Lande.—Ja, so muesste
man auf etwas anders denken.—Der Prinz. Und auf was?—Liebster,
bester Marinelli, denken Sie fuer mich. Was wuerden Sie tun, wenn Sie
an meiner Stelle waeren?
Marinelli. Vor allen Dingen eine Kleinigkeit als eine Kleinigkeit
ansehen—und mir sagen, dass ich nicht vergebens sein wolle, was ich
bin—Herr!
Der Prinz. Schmeicheln Sie mir nicht mit einer Gewalt, von der ich
hier keinen Gebrauch absehe.—Heute, sagen Sie? schon heute?
Marinelli. Erst heute—soll es geschehen. Und nur geschehenen Dingen
ist nicht zu raten.—(Nach einer kurzen Ueberlegung.) Wollen Sie mir
freie Hand lassen, Prinz? Wollen Sie alles genehmigen, was ich tue?
Der Prinz. Alles, Marinelli, alles, was diesen Streich abwenden kann.
Marinelli. So lassen Sie uns keine Zeit verlieren.—Aber bleiben Sie
nicht in der Stadt. Fahren Sie sogleich nach Ihrem Lustschlosse, nach
Dosalo. Der Weg nach Sabionetta geht da vorbei. Wenn es mir nicht
gelingt, den Grafen augenblicklich zu entfernen: so denk ich—Doch,
doch; ich glaube, er geht in diese Falle gewiss. Sie wollen, Prinz,
wegen Ihrer Vermaehlung einen Gesandten nach Massa schicken? Lassen
Sie den Grafen dieser Gesandte sein; mit dem Bedinge, dass er noch
heute abreiset.—Verstehen Sie?
Der Prinz. Vortrefflich!—Bringen Sie ihn zu mir heraus. Gehen Sie,
eilen Sie. Ich werfe mich sogleich in den Wagen. (Marinelli geht ab.)
Siebenter Auftritt
Der Prinz. Sogleich! sogleich!—Wo blieb es?—(Sich nach dem Portraete
umsehend.) Auf der Erde? das war zu arg! (Indem er es aufhebt.) Doch
betrachten? betrachten mag ich dich fuers erste nicht mehr.—Warum
sollt' ich mir den Pfeil noch tiefer in die Wunde druecken? (Setzt es
beiseite)—Geschmachtet, geseufzet hab ich lange genug—laenger als ich
gesollt haette: aber nichts getan! und ueber die zaertliche Untaetigkeit
bei einem Haar alles verloren!—Und wenn nun doch alles verloren waere?
Wenn Marinelli nichts ausrichtete?—Warum will ich mich auch auf ihn
allein verlassen? Es faellt mir ein—um diese Stunde (nach der Uhr
sehend), um diese naemliche Stunde pflegt das fromme Maedchen alle
Morgen bei den Dominikanern die Messe zu hoeren.—Wie, wenn ich sie da
zu sprechen suchte?—Doch heute, heut an ihrem Hochzeittage—heute
werden ihr andere Dinge am Herzen liegen als die Messe.—Indes, wer
weiss?—Es ist ein Gang.—(Er klingelt, und indem er einige von den
Papieren auf dem Tische hastig zusammenrafft, tritt der Kammerdiener
herein.) Lasst vorfahren!—Ist noch keiner von den Raeten da?
Der Kammerdiener. Camillo Rota.
Der Prinz. Er soll hereinkommen. (Der Kammerdiener geht ab.) Nur
aufhalten muss er mich nicht wollen. Dasmal nicht!—Ich stehe gern
seinen Bedenklichkeiten ein andermal um so viel laenger zu Diensten.
—Da war ja noch die Bittschrift einer Emilia Bruneschi.—(Sie suchend.
) Die ist's.—Aber, gute Bruneschi, wo deine Vorsprecherin Achter
Auftritt
Camillo Rota, Schriften in der Hand. Der Prinz.
Der Prinz. Kommen Sie, Rota, kommen Sie.—Hier ist, was ich diesen
Morgen erbrochen. Nicht viel Troestliches!—Sie werden von selbst
sehen, was darauf zu verfuegen.—Nehmen Sie nur.
Camillo Rota. Gut, gnaediger Herr.
Der Prinz. Noch ist hier eine Bittschrift einer Emilia Galot..
Bruneschi will ich sagen.—Ich habe meine Bewilligung zwar schon
beigeschrieben. Aber doch—die Sache ist keine Kleinigkeit.—Lassen
Sie die Ausfertigung noch anstehen.—Oder auch nicht anstehen: wie
Sie wollen.
Bruneschi will ich sagen.—Ich habe meine Bewilligung zwar schon
beigeschrieben. Aber doch—die Sache ist keine Kleinigkeit.—Lassen
Sie die Ausfertigung noch anstehen.—Oder auch nicht anstehen: wie
Sie wollen.
Camillo Rota. Nicht wie ich will, gnaediger Herr.
Der Prinz. Was ist sonst? Etwas zu unterschreiben?
Camillo Rota. Ein Todesurteil waere zu unterschreiben.
Der Prinz. Recht gern.—Nur her! geschwind.
Camillo Rota (stutzig und den Prinzen starr ansehend). Ein
Todesurteil—sagt' ich.
Todesurteil—sagt' ich.
Der Prinz. Ich hoere ja wohl.—Es koennte schon geschehen sein. Ich
bin eilig.
Camillo Rota (seine Schriften nachsehend). Nun hab ich es doch wohl
nicht mitgenommen!—Verzeihen Sie, gnaediger Herr.—Es kann Anstand
damit haben bis morgen.
Der Prinz. Auch das!—Packen Sie nur zusammen; ich muss fort—Morgen,
Rota, ein Mehres! (Geht ab.)
Rota, ein Mehres! (Geht ab.)
Camillo Rota (den Kopf schuettelnd, indem er die Papiere zu sich nimmt
und abgeht). Recht gern?—Ein Todesurteil recht gern?—Ich haett' es
ihn in diesem Augenblicke nicht moegen unterschreiben lassen, und wenn
es den Moerder meines einzigen Sohnes betroffen haette.—Recht gern!
Recht gern!—Es geht mir durch die Seele dieses graessliche Recht gern!
Zweiter Aufzug
Die Szene: ein Saal in dem Hause der Galotti.
Erster Auftritt
Claudia Galotti. Pirro.
Claudia (im Heraustreten zu Pirro, der von der andern Seite
hereintritt). Wer sprengte da in den Hof?
Pirro. Unser Herr, gnaedige Frau.
Claudia. Mein Gemahl? Ist es moeglich?
Pirro. Er folgt mir auf dem Fusse.
Claudia. So unvermutet?—(Ihm entgegeneilend.) Ach! mein Bester!
Zweiter Auftritt
Zweiter Auftritt
Odoardo Galotti und die Vorigen.
Odoardo. Guten Morgen, meine Liebe!—Nicht wahr, das heisst
ueberraschen?—Claudia. Und auf die angenehmste Art!—Wenn es anders
nur eine Ueberraschung sein soll.
Odoardo. Nichts weiter! Sei unbesorgt.—Das Glueck des heutigen Tages
weckte mich so frueh; der Morgen war so schoen; der Weg ist so kurz; ich
vermutete euch hier so geschaeftig—Wie leicht vergessen sie etwas,
fiel mir ein.—Mit einem Worte: ich komme, und sehe, und kehre
sogleich wieder zurueck.—Wo ist Emilia? Unstreitig beschaeftigt mit
dem Putze?—Claudia. Ihrer Seele!—Sie ist in der Messe.—"Ich habe
heute, mehr als jeden andern Tag, Gnade von oben zu erflehen", sagte
sie und liess alles liegen und nahm ihren Schleier und eilte—Odoardo.
Ganz allein?
Claudia. Die wenigen Schritte—Odoardo. Einer ist genug zu einem
Fehltritt!—Claudia. Zuernen Sie nicht, mein Bester; und kommen Sie
herein—einen Augenblick auszuruhen und, wann Sie wollen, eine
Erfrischung zu nehmen.
Fehltritt!—Claudia. Zuernen Sie nicht, mein Bester; und kommen Sie
herein—einen Augenblick auszuruhen und, wann Sie wollen, eine
Erfrischung zu nehmen.
Odoardo. Wie du meinest, Claudia.—Aber sie sollte nicht allein
gegangen sein.—Claudia. Und Ihr, Pirro, bleibt hier in dem Vorzimmer,
alle Besuche auf heute zu verbitten.
Dritter Auftritt
Pirro und bald darauf Angelo.
Pirro. Die sich nur aus Neugierde melden lassen.—Was bin ich seit
einer Stunde nicht alles ausgefragt worden!—Und wer koemmt da?
Angelo (noch halb hinter der Szene, in einem kurzen Mantel, den er
ueber das Gesicht gezogen, den Hut in die Stirne). Pirro!—Pirro!
Pirro. Ein Bekannter?—(Indem Angelo vollends hereintritt und den
Mantel auseinanderschlaegt.) Himmel! Angelo?—Du?
Mantel auseinanderschlaegt.) Himmel! Angelo?—Du?
Angelo. Wie du siehst.—Ich bin lange genug um das Haus herumgegangen,
dich zu sprechen.—Auf ein Wort!—Pirro. Und du wagst es, wieder ans
Licht zu kommen?—Du bist seit deiner letzten Mordtat vogelfrei
erklaeret; auf deinen Kopf steht eine Belohnung
Angelo. Die doch du nicht wirst verdienen wollen?—Pirro. Was willst
du?—Ich bitte dich, mache mich nicht ungluecklich.
Angelo. Damit etwa? (Ihm einen Beutel mit Gelde zeigend.)—Nimm! Es
gehoeret dir!
Pirro. Mir?
Angelo. Hast du vergessen? Der Deutsche, dein voriger Herr—Pirro.
Schweig davon!
Schweig davon!
Angelo. Den du uns, auf dem Wege nach Pisa, in die Falle
fuehrtest—Pirro. Wenn uns jemand hoerte!
Angelo. Hatte ja die Guete, uns auch einen kostbaren Ring zu
hinterlassen.—Weisst du nicht?—Er war zu kostbar, der Ring, als dass
wir ihn sogleich ohne Verdacht haetten zu Gelde machen koennen. Endlich
ist mir es damit gelungen. Ich habe hundert Pistolen dafuer erhalten,
und das ist dein Anteil. Nimm!
Pirro. Ich mag nichts—behalt alles.
Angelo. Meinetwegen!—wenn es dir gleichviel ist, wie hoch du deinen
Kopf feil traegst—(Als ob er den Beutel wieder einstecken wollte.)
Kopf feil traegst—(Als ob er den Beutel wieder einstecken wollte.)
Pirro. So gib nur! (Nimmt ihn.)—Und was nun? Denn dass du bloss
deswegen mich aufgesucht haben solltest—Angelo. Das koemmt dir nicht
so recht glaublich vor?—Halunke! Was denkst du von uns?—dass wir
faehig sind, jemand seinen Verdienst vorzuenthalten? Das mag unter den
sogenannten ehrlichen Leuten Mode sein: unter uns nicht.—Leb wohl!
—(Tut, als ob er gehen wollte, und kehrt wieder um.) Eins muss ich
doch fragen.—Da kam ja der alte Galotti so ganz allein in die Stadt
gesprengt. Was will der?
Pirro. Nichts will er; ein blosser Spazierritt. Seine Tochter wird
heut abend auf dem Gute, von dem er herkoemmt, dem Grafen Appiani
angetrauet. Er kann die Zeit nicht erwarten—Angelo. Und reitet bald
wieder hinaus?
Pirro. So bald, dass er dich hier trifft, wo du noch lange verziehest.
—Aber du hast doch keinen Anschlag auf ihn? Nimm dich in acht. Er
ist ein Mann—Angelo. Kenn ich ihn nicht? Hab ich nicht unter ihm
gedienet?—Wenn darum bei ihm nur viel zu holen waere!—Wenn fahren die
junge Leute nach?
Pirro. Gegen Mittag.
Angelo. Mit viel Begleitung?
Pirro. In einem einzigen Wagen.—die Mutter, die Tochter und der Graf.
Ein paar Freunde kommen aus Sabionetta als Zeugen.
Ein paar Freunde kommen aus Sabionetta als Zeugen.
Angelo. Und Bediente?
Pirro. Nur zwei; ausser mir, der ich zu Pferde voraufreiten soll.
Angelo. Das ist gut.—Noch eins: wessen ist die Equipage? Ist es
eure? oder des Grafen?
Pirro. Des Grafen.
Angelo. Schlimm! Da ist noch ein Vorreiter, ausser einem handfesten
Kutscher. Doch!—Pirro. Ich erstaune. Aber was willst du?—Das
bisschen Schmuck, das die Braut etwa haben duerfte, wird schwerlich der
Muehe lohnen—Angelo. So lohnt ihrer die Braut selbst!
Kutscher. Doch!—Pirro. Ich erstaune. Aber was willst du?—Das
bisschen Schmuck, das die Braut etwa haben duerfte, wird schwerlich der
Muehe lohnen—Angelo. So lohnt ihrer die Braut selbst!
Pirro. Und auch bei diesem Verbrechen soll ich dein Mitschuldiger
sein?
Angelo. Du reitest vorauf. Reite doch, reite! und kehre dich an
nichts!
Pirro. Nimmermehr!
Angelo. Wie? ich glaube gar, du willst den Gewissenhaften spielen.
Bursche! ich denke, du kennst mich.—Wo du plauderst! Wo sich ein
einziger Umstand anders findet, als du mir ihn angegeben!—Pirro. Aber,
Angelo, um des Himmels willen!—Angelo. Tu, was du nicht lassen
kannst! (Geht ab.)
Pirro. Ha! Lass dich den Teufel bei einem Haare fassen, und du bist
sein auf ewig! Ich Ungluecklicher!
Vierter Auftritt
Odoardo und Claudia Galotti. Pirro.
Odoardo. Sie bleibt mir zu lang aus—Claudia. Noch einen Augenblick,
Odoardo! Es wuerde sie schmerzen, deines Anblicks so zu verfehlen.
Odoardo! Es wuerde sie schmerzen, deines Anblicks so zu verfehlen.
Odoardo. Ich muss auch bei dem Grafen noch einsprechen. Kaum kann
ich's erwarten, diesen wuerdigen jungen Mann meinen Sohn zu nennen.
Alles entzueckt mich an ihm. Und vor allem der Entschluss, in seinen
vaeterlichen Taelern sich selbst zu leben.
Claudia.—Das Herz bricht mir, wenn ich hieran gedenke.—So ganz
sollen wir sie verlieren, diese einzige, geliebte Tochter?
Odoardo. Was nennst du, sie verlieren? Sie in den Armen der Liebe zu
wissen? Vermenge dein Vergnuegen an ihr nicht mit ihrem Gluecke.—Du
moechtest meinen alten Argwohn erneuern:—dass es mehr das Geraeusch und
die Zerstreuung der Welt, mehr die Naehe des Hofes war als die
Notwendigkeit, unserer Tochter eine anstaendige Erziehung zu geben, was
dich bewog, hier in der Stadt mit ihr zu bleiben—fern von einem Manne
und Vater, der euch so herzlich liebet.
Claudia. Wie ungerecht, Odoardo! Aber lass mich heute nur ein
einziges Wort fuer diese Stadt, fuer diese Naehe des Hofes sprechen, die
deiner strengen Tugend so verhasst sind.—Hier, nur hier konnte die
Liebe zusammenbringen, was fuereinander geschaffen war. Hier nur
konnte der Graf Emilien finden; und fand sie.
Odoardo. Das raeum ich ein. Aber, gute Claudia, hattest du darum
recht, weil dir der Ausgang recht gibt?—Gut, dass es mit dieser
Stadterziehung so abgelaufen! Lass uns nicht weise sein wollen, wo wir
nichts als gluecklich gewesen! Gut, dass es so damit abgelaufen!—Nun
haben sie sich gefunden, die fuereinander bestimmt waren: nun lass sie
ziehen, wohin Unschuld und Ruhe sie rufen.—Was sollte der Graf hier?
Sich buecken, schmeicheln und kriechen und die Marinellis auszustechen
suchen? um endlich ein Glueck zu machen, dessen er nicht bedarf? um
endlich einer Ehre gewuerdiget zu werden, die fuer ihn keine
waere?—Pirro!
Pirro. Hier bin ich.
Odoardo. Geh und fuehre mein Pferd vor das Haus des Grafen. Ich komme
nach und will mich da wieder aufsetzen. (Pirro geht ab.)—Warum soll
der Graf hier dienen, wenn er dort selbst befehlen kann?—Dazu
bedenkest du nicht, Claudia, dass durch unsere Tochter er es vollends
mit dem Prinzen verderbt. Der Prinz hasst mich—Claudia. Vielleicht
weniger, als du besorgest.
Odoardo. Besorgest! Ich besorg auch so was!
Claudia. Denn hab ich dir schon gesagt, dass der Prinz unsere Tochter
gesehen hat?
Odoardo. Der Prinz? Und wo das?
Claudia. In der letzten Vegghia, bei dem Kanzler Grimaldi, die er mit
seiner Gegenwart beehrte. Er bezeigte sich gegen sie so
gnaedig—Odoardo. So gnaedig?
Claudia. Er unterhielt sich mit ihr so lange—Odoardo. Unterhielt
sich mit ihr?
Claudia. Schien von ihrer Munterkeit und ihrem Witze so
bezaubert—Odoardo. So bezaubert?—Claudia. Hat von ihrer Schoenheit
mit so vielen Lobeserhebungen gesprochen—Odoardo. Lobeserhebungen?
Und das alles erzaehlst du mir in einem Tone der Entzueckung? O Claudia!
eitle, toerichte Mutter!
Claudia. Wieso?
Odoardo. Nun gut, nun gut! Auch das ist so abgelaufen.—Ha! wenn ich
mir einbilde—Das gerade waere der Ort, wo ich am toedlichsten zu
verwunden bin!—Ein Wolluestling, der bewundert, begehrt.—Claudia!
Claudia! der blosse Gedanke setzt mich in Wut.—Du haettest mir das
sogleich sollen gemeldet haben.—Doch, ich moechte dir heute nicht gern
etwas Unangenehmes sagen. Und ich wuerde (indem sie ihn bei der Hand
ergreift), wenn ich laenger bliebe.—Drum lass mich! lass mich!—Gott
befohlen, Claudia!—Kommt gluecklich nach!
Fuenfter Auftritt
Claudia Galotti. Welch ein Mann!—Oh, der rauhen Tugend!—wenn anders
sie diesen Namen verdienet.—Alles scheint ihr verdaechtig, alles
strafbar!—Oder, wenn das die Menschen kennen heisst:—wer sollte sich
wuenschen, sie zu kennen?—Wo bleibt aber auch Emilia?—Er ist des
Vaters Feind: folglich—folglich, wenn er ein Auge fuer die Tochter hat,
so ist es einzig, um ihn zu beschimpfen?
Sechster Auftritt
Emilia und Claudia Galotti.
Emilia (stuerzet in einer aengstlichen Verwirrung herein). Wohl mir!
wohl mir!—Nun bin ich in Sicherheit. Oder ist er mir gar gefolgt?
(Indem sie den Schleier zurueckwirft und ihre Mutter erblicket.) Ist er,
meine Mutter? ist er? Nein, dem Himmel sei Dank!
Claudia. Was ist dir, meine Tochter? was ist dir?
Emilia. Nichts, nichts—Claudia. Und blickest so wild um dich? Und
zitterst an jedem Gliede?
Emilia. Was hab ich hoeren muessen? Und wo, wo hab ich es hoeren muessen?
Claudia. Ich habe dich in der Kirche geglaubt—Emilia. Eben da! Was
ist dem Laster Kirch' und Altar?—Ach, meine Mutter! (Sich ihr in die
Arme werfend.)
Claudia. Rede, meine Tochter!—Mach meiner Furcht ein Ende.—Was kann
dir da, an heiliger Staette, so Schlimmes begegnet sein?
Emilia. Nie haette meine Andacht inniger, bruenstiger sein sollen als
heute: nie ist sie weniger gewesen, was sie sein sollte.
Claudia. Wir sind Menschen, Emilia. Die Gabe zu beten ist nicht
immer in unserer Gewalt. Dem Himmel ist beten wollen auch beten.
Emilia. Und suendigen wollen auch suendigen.
Claudia. Das hat meine Emilia nicht wollen!
Emilia. Nein, meine Mutter; so tief liess mich die Gnade nicht sinken.
—Aber dass fremdes Laster uns, wider unsern Willen, zu Mitschuldigen
machen kann!
Claudia. Fasse dich!—Sammle deine Gedanken, soviel dir moeglich.—Sag
es mir mit eins, was dir geschehen.
Emilia. Eben hatt' ich mich—weiter von dem Altare, als ich sonst
pflege—denn ich kam zu spaet—, auf meine Knie gelassen. Eben fing
ich an, mein Herz zu erheben: als dicht hinter mir etwas seinen Platz
nahm. So dicht hinter mir!—Ich konnte weder vor noch zur Seite
ruecken—so gern ich auch wollte; aus Furcht, dass eines andern Andacht
mich in meiner stoeren moechte.—Andacht! das war das Schlimmste, was
ich besorgte.—Aber es waehrte nicht lange, so hoert' ich, ganz nah an
meinem Ohre—nach einem tiefen Seufzer—nicht den Namen einer
Heiligen—den Namen—zuernen Sie nicht, meine Mutter—den Namen Ihrer
Tochter!—Meinen Namen!—O dass laute Donner mich verhindert haetten,
mehr zu hoeren!—Es sprach von Schoenheit, von Liebe—Es klagte, dass
dieser Tag, welcher mein Glueck mache—wenn er es anders mache—sein
Unglueck auf immer entscheide.—Es beschwor mich—hoeren musst' ich dies
alles. Aber ich blickte nicht um; ich wollte tun, als ob ich es nicht
hoerte.—Was konnt' ich sonst?—Meinen guten Engel bitten, mich mit
Taubheit zu schlagen; und wann auch, wenn auch auf immer!—Das bat ich;
das war das einzige, was ich beten konnte.—Endlich ward es Zeit,
mich wieder zu erheben. Das heilige Amt ging zu Ende. Ich zitterte,
mich umzukehren. Ich zitterte, ihn zu erblicken, der sich den Frevel
erlauben duerfen. Und da ich mich umwandte, da ich ihn erblickte—Claudia.
Wen, meine Tochter?
Emilia. Raten Sie, meine Mutter, raten Sie—Ich glaubte in die Erde
zu sinken—Ihn selbst.
Claudia. Wen, ihn selbst?
Emilia. Den Prinzen.
Claudia. Den Prinzen!—O gesegnet sei die Ungeduld deines Vaters, der
eben hier war und dich nicht erwarten wollte!
Emilia. Mein Vater hier?—und wollte mich nicht erwarten?
Claudia. Wenn du in deiner Verwirrung auch ihn das haettest hoeren
lassen!
Emilia. Nun, meine Mutter?—Was haett' er an mir Strafbares finden
koennen?
Claudia. Nichts; ebensowenig als an mir. Und doch, doch—Ha, du
kennest deinen Vater nicht! In seinem Zorne haett' er den unschuldigen
Gegenstand des Verbrechens mit dem Verbrecher verwechselt. In seiner
Wut haett' ich ihm geschienen, das veranlasst zu haben, was ich weder
verhindern noch vorhersehen koennen.—Aber weiter, meine Tochter,
weiter! Als du den Prinzen erkanntest—Ich will hoffen, dass du deiner
maechtig genug warest, ihm in einem Blicke alle die Verachtung zu
bezeigen, die er verdienst.
Emilia. Das war ich nicht, meine Mutter! Nach dem Blicke, mit dem
ich ihn erkannte, hatt' ich nicht das Herz, einen zweiten auf ihn zu
richten. Ich floh—Claudia. Und der Prinz dir nach—Emilia. Was ich
nicht wusste, bis ich in der Halle mich bei der Hand ergriffen fuehlte.
Und von ihm! Aus Scham musst' ich standhalten: mich von ihm
loszuwinden wuerde die Vorbeigehenden zu aufmerksam auf uns gemacht
haben. Das war die einzige Ueberlegung, deren ich faehig war—oder
deren ich nun mich wieder erinnere. Er sprach; und ich hab ihm
geantwortet. Aber was er sprach, was ich ihm geantwortet—faellt mir
es noch bei, so ist es gut, so will ich es Ihnen sagen, meine Mutter.
Jetzt weiss ich von dem allen nichts. Meine Sinne hatten mich
verlassen.—Umsonst denk ich nach, wie ich von ihm weg und aus der
Halle gekommen. Ich finde mich erst auf der Strasse wieder, und hoere
ihn hinter mir herkommen, und hoere ihn mit mir zugleich in das Haus
treten, mit mir die Treppe hinaufsteigen—Claudia. Die Furcht hat
ihren besondern Sinn, meine Tochter! Ich werde es nie vergessen, mit
welcher Gebaerde du hereinstuerztest.—Nein, so weit durfte er nicht
wagen, dir zu folgen.—Gott! Gott! wenn dein Vater das wuesste!—Wie
wild er schon war, als er nur hoerte, dass der Prinz dich juengst nicht
ohne Missfallen gesehen!—Indes, sei ruhig, meine Tochter! Nimm es fuer
einen Traum, was dir begegnet ist. Auch wird es noch weniger Folgen
haben als ein Traum. Du entgehest heute mit eins allen Nachstellungen.
Emilia. Aber, nicht, meine Mutter? Der Graf muss das wissen. Ihm muss
ich es sagen.
Claudia. Um alle Welt nicht!—Wozu? warum? Willst du fuer nichts und
wieder fuer nichts ihn unruhig machen? Und wann er es auch itzt nicht
wuerde: wisse, mein Kind, dass ein Gift, welches nicht gleich wirket,
darum kein minder gefaehrliches Gift ist. Was auf den Liebhaber keinen
Eindruck macht, kann ihn auf den Gemahl machen. Den Liebhaber koennt'
es sogar schmeicheln, einem so wichtigen Mitbewerber den Rang
abzulaufen. Aber wenn er ihm den nun einmal abgelaufen hat: ah! mein
Kind—so wird aus dem Liebhaber oft ein ganz anderes Geschoepf. Dein
gutes Gestirn behuete dich vor dieser Erfahrung.
Emilia. Sie wissen, meine Mutter, wie gern ich Ihren bessern
Einsichten mich in allem unterwerfe.—Aber, wenn er es von einem
andern erfuehre, dass der Prinz mich heute gesprochen? Wuerde mein
Verschweigen nicht, frueh oder spaet, seine Unruhe vermehren?—Ich
daechte doch, ich behielte lieber vor ihm nichts auf dem Herzen.
Claudia. Schwachheit! verliebte Schwachheit!—Nein, durchaus nicht,
meine Tochter! Sag ihm nichts. Lass ihn nichts merken!
Emilia. Nun ja, meine Mutter! Ich habe keinen Willen gegen den
Ihrigen.—Aha! (Mit einem tiefen Atemzuge.) Auch wird mir wieder ganz
leicht.—Was fuer ein albernes, furchtsames Ding ich bin!—Nicht, meine
Mutter?—Ich haette mich noch wohl anders dabei nehmen koennen und wuerde
mir ebensowenig vergeben haben.
Claudia. Ich wollte dir das nicht sagen, meine Tochter, bevor dir es
dein eigner gesunder Verstand sagte. Und ich wusste, er wurde dir es
sagen, sobald du wieder zu dir selbst gekommen.—Der Prinz ist galant.
Du bist die unbedeutende Sprache der Galanterie zu wenig gewohnt.
Eine Hoeflichkeit wird in ihr zur Empfindung, eine Schmeichelei zur
Beteurung, ein Einfall zum Wunsche, ein Wunsch zum Vorsatze. Nichts
klingt in dieser Sprache wie alles, und alles ist in ihr so viel als
nichts.
Emilia. O meine Mutter!—so muesste ich mir mit meiner Furcht vollends
laecherlich vorkommen!—Nun soll er gewiss nichts davon erfahren, mein
guter Appiani! Er koennte mich leicht fuer mehr eitel als tugendhaft
halten.—Hui! dass er da selbst koemmt! Es ist sein Gang.
Siebenter Auftritt
Graf Appiani. Die Vorigen.
Appiani (tritt tiefsinnig, mit vor sich hin geschlagenen Augen herein
und koemmt naeher, ohne sie zu erblicken; bis Emilia ihm entgegenspringt).
Ah, meine Teuerste!—Ich war mir Sie in dem Vorzimmer nicht vermutend.
Emilia. Ich wuenschte Sie heiter, Herr Graf, auch wo Sie mich nicht
vermuten.—So feierlich? so ernsthaft?—Ist dieser Tag keiner
freudigern Aufwallung wert?
Appiani. Er ist mehr wert als mein ganzes Leben. Aber schwanger mit
so viel Glueckseligkeit fuer mich—mag es wohl diese Glueckseligkeit
selbst sein, die mich so ernst, die mich, wie Sie es nennen, mein
Fraeulein, so feierlich macht.—(Indem er die Mutter erblickt.) Ha!
auch Sie hier, meine gnaedige Frau!—nun bald mir mit einem innigern
Namen zu verehrende!
Claudia. Der mein groesster Stolz sein wird!—Wie gluecklich bist du,
meine Emilia!—Warum hat dein Vater unsere Entzueckung nicht teilen
wollen?
Appiani. Eben habe ich mich aus seinen Armen gerissen:—oder vielmehr,
er sich aus meinen.—Welch ein Mann, meine Emilia, Ihr Vater! Das
Muster aller maennlichen Tugend! Zu was fuer Gesinnungen erhebt sich
meine Seele in seiner Gegenwart! Nie ist mein Entschluss, immer gut,
immer edel zu sein, lebendiger, als wenn ich ihn sehe—wenn ich ihn
mir denke. Und womit sonst als mit der Erfuellung dieses Entschlusses
kann ich mich der Ehre wuerdig machen, sein Sohn zu heissen—der Ihrige
zu sein, meine Emilia?
Emilia. Und er wollte mich nicht erwarten!
Appiani. Ich urteile, weil ihn seine Emilia, fuer diesen
augenblicklichen Besuch, zu sehr erschuettert, zu sehr sich seiner
ganzen Seele bemaechtiget haette.
Claudia. Er glaubte dich mit deinem Brautschmucke beschaeftiget zu
finden und hoerte—Appiani. Was ich mit der zaertlichsten Bewunderung
wieder von ihm gehoert habe.—So recht, meine Emilia! Ich werde eine
fromme Frau an Ihnen haben, und die nicht stolz auf ihre Froemmigkeit
ist.
Claudia. Aber, meine Kinder, eines tun und das andere nicht lassen!
—Nun ist es hohe Zeit; nun mach, Emilia!
—Nun ist es hohe Zeit; nun mach, Emilia!
Appiani. Was? meine gnaedige Frau.
Claudia. Sie wollen sie doch nicht so, Herr Graf—so wie sie da ist,
zum Altare fuehren?
Appiani. Wahrlich, das werd ich nun erst gewahr.—Wer kann Sie sehen,
Emilia, und auch auf Ihren Putz achten?—Und warum nicht so, so wie
sie da ist?
Emilia. Nein, mein lieber Graf, nicht so; nicht ganz so. Aber auch
nicht viel praechtiger, nicht viel.—Husch, husch, und ich bin fertig!
—Nichts, gar nichts von dem Geschmeide, dem letzten Geschenke Ihrer
verschwenderischen Grossmut! Nichts, gar nichts, was sich nur zu
solchem Geschmeide schickte!—Ich koennte ihm gram sein, diesem
Geschmeide, wenn es nicht von Ihnen waere. Denn dreimal hat mir von
ihm getraeumt—Claudia. Nun! davon weiss ich ja nichts.
Emilia. Als ob ich es truege, und als ob ploetzlich sich jeder Stein
desselben in eine Perle verwandele.—Perlen aber, meine Mutter, Perlen
bedeuten Traenen.
Claudia. Kind!—Die Bedeutung ist traeumerischer als der Traum.
—Warest du nicht von jeher eine groessere Liebhaberin von Perlen als
von Steinen?—Emilia. Freilich, meine Mutter, freilich—Appiani
(nachdenkend und schwermuetig). Bedeuten Traenen—bedeuten Traenen!
Emilia. Wie? Ihnen faellt das auf? Ihnen?
Appiani. Jawohl, ich sollte mich schaemen.—Aber, wenn die
Einbildungskraft einmal zu traurigen Bildern gestimmt ist—Emilia.
Warum ist sie das auch?—Und was meinen Sie, das ich mir ausgedacht
habe?—Was trug ich, wie sah ich, als ich Ihnen zuerst gefiel?—Wissen
Sie es noch?
Einbildungskraft einmal zu traurigen Bildern gestimmt ist—Emilia.
Warum ist sie das auch?—Und was meinen Sie, das ich mir ausgedacht
habe?—Was trug ich, wie sah ich, als ich Ihnen zuerst gefiel?—Wissen
Sie es noch?
Appiani. Ob ich es noch weiss? Ich sehe Sie in Gedanken nie anders
als so; und sehe Sie so, auch wenn ich Sie nicht so sehe.
Emilia. Also, ein Kleid von der naemlichen Farbe, von dem naemlichen
Schnitte; fliegend und frei—Appiani. Vortrefflich!
Schnitte; fliegend und frei—Appiani. Vortrefflich!
Emilia. Und das Haar—Appiani. In seinem eignen braunen Glanze; in
Locken, wie sie die Natur schlug—Emilia. Die Rose darin nicht zu
vergessen! Recht! recht!—Eine kleine Geduld, und ich stehe so vor
Ihnen da!
Locken, wie sie die Natur schlug—Emilia. Die Rose darin nicht zu
vergessen! Recht! recht!—Eine kleine Geduld, und ich stehe so vor
Ihnen da!
Achter Auftritt
Graf Appiani. Claudia Galotti.
Appiani (indem er ihr mit einer niedergeschlagenen Miene nachsieht).
Perlen bedeuten Traenen!—Eine kleine Geduld!—Ja, wenn die Zeit nur
ausser uns waere!—Wenn eine Minute am Zeiger sich in uns nicht in Jahre
ausdehnen koennte!—Claudia. Emiliens Beobachtung, Herr Graf, war so
schnell als richtig. Sie sind heut ernster als gewoehnlich. Nur noch
einen Schritt von dem Ziele Ihrer Wuensche—sollt' es Sie reuen, Herr
Graf, dass es das Ziel Ihrer Wuensche gewesen?
Appiani. Ah, meine Mutter, und Sie koennen das von Ihrem Sohne
argwoehnen?—Aber, es ist wahr; ich bin heut ungewoehnlich truebe und
finster.—Nur sehen Sie, gnaedig Frau:—noch einen Schritt vom Ziele
oder noch gar nicht ausgelaufen sein, ist im Grunde eines.—Alles was
ich sehe, alles was ich hoere, alles was ich traeume, prediget mir seit
gestern und ehegestern diese Wahrheit. Dieser eine Gedanke kettet
sich an jeden andern, den ich haben muss und haben will.—Was ist das?
Ich versteh es nicht.—Claudia. Sie machen mich unruhig, Herr
Graf—Appiani. Eines koemmt dann zum andern!—Ich bin aergerlich;
aergerlich ueber meine Freunde, ueber mich selbst—Claudia. Wieso?
Appiani. Meine Freunde verlangen schlechterdings, dass ich dem Prinzen
von meiner Heirat ein Wort sagen soll, ehe ich sie vollziehe. Sie
geben mir zu, ich sei es nicht schuldig; aber die Achtung gegen ihn
woll' es nicht anders.—Und ich bin schwach genug gewesen, es ihnen zu
versprechen. Eben wollt' ich noch bei ihm vorfahren.
Claudia (stutzig). Bei dem Prinzen?
Neunter Auftritt
Pirro, gleich darauf Marinelli und die Vorigen.
Pirro. Gnaedige Frau, der Marchese Marinelli haelt vor dem Hause und
erkundiget sich nach dem Herrn Grafen.
Appiani. Nach mir?
Pirro. Hier ist er schon. (Oeffnet ihm die Tuere und gehet ab.)
Marinelli. Ich bitt um Verzeihung, gnaedige Frau.—Mein Herr Graf, ich
war vor Ihrem Hause und erfuhr, dass ich Sie hier treffen wuerde. Ich
hab ein dringendes Geschaeft an Sie—Gnaedige Frau, ich bitte nochmals
um Verzeihung; es ist in einigen Minuten geschehen.
Claudia. Die ich nicht verzoegern will. (Macht ihm eine Verbeugung
und geht ab.)
Zehnter Auftritt
Marinelli. Appiani.
Ap piani. Nun, mein Herr?
Marinelli. Ich komme von des Prinzen Durchlaucht.
Appiani. Was ist zu seinem Befehle?
Marinelli. Ich bin stolz, der Ueberbringer einer so vorzueglichen Gnade
zu sein.—Und wenn Graf Appiani nicht mit Gewalt einen seiner
ergebensten Freunde in mir verkennen will—Appiani. Ohne weitere
Vorrede, wenn ich bitten darf.
Marinelli. Auch das!—Der Prinz muss sogleich an den Herzog von Massa,
in Angelegenheit seiner Vermaehlung mit dessen Prinzessin Tochter,
einen Bevollmaechtigten senden. Er war lange unschluessig, wen er dazu
ernennen sollte. Endlich ist seine Wahl, Herr Graf, auf Sie gefallen.
Appiani. Auf mich?
Marinelli. Und das—wenn die Freundschaft ruhmredig sein darf—nicht
ohne mein Zutun—Appiani. Wahrlich, Sie setzen mich wegen eines Dankes
in Verlegenheit.—Ich habe schon laengst nicht mehr erwartet, dass der
Prinz mich zu brauchen geruhen werde.—Marinelli. Ich bin versichert,
dass es ihm bloss an einer wuerdigen Gelegenheit gemangelt hat. Und wenn
auch diese so eines Mannes wie Graf Appiani noch nicht wuerdig genug
sein sollte, so ist freilich meine Freundschaft zu voreilig gewesen.
Appiani. Freundschaft und Freundschaft um das dritte Wort!—Mit wem
red ich denn? Des Marchese Marinelli Freundschaft haett' ich mir nie
traeumen lassen.—Marinelli. Ich erkenne mein Unrecht, Herr Graf, mein
unverzeihliches Unrecht, dass ich, ohne Ihre Erlaubnis, Ihr Freund sein
wollen.—Bei dem allen: was tut das? Die Gnade des Prinzen, die Ihnen
angetragene Ehre bleiben, was sie sind: und ich zweifle nicht, Sie
werden sie mit Begierd' ergreifen.
Appiani (nach einiger Ueberlegung). Allerdings.
Marinelli. Nun so kommen Sie.
Appiani. Wohin?
Marinelli. Nach Dosalo, zu dem Prinzen.—Es liegt schon alles fertig;
und Sie muessen noch heut abreisen.
Appiani. Was sagen Sie?—Noch heute?
Marinelli. Lieber noch in dieser naemlichen Stunde als in der
folgenden. Die Sache ist von der aeussersten Eil'.
Appiani. In Wahrheit?—So tut es mir leid, dass ich die Ehre, welche
mir der Prinz zugedacht, verbitten muss.
Marinelli. Wie?
Appiani. Ich kann heute nicht abreisen—auch morgen nicht—auch
uebermorgen noch nicht.—Marinelli. Sie scherzen, Herr Graf.
Appiani. Mit Ihnen?
Marinelli. Unvergleichlich! Wenn der Scherz dem Prinzen gilt, so ist
er um so viel lustiger.—Sie koennen nicht?
Appiani. Nein, mein Herr, nein.—Und ich hoffe, dass der Prinz selbst
meine Entschuldigung wird gelten lassen.
Marinelli. Die bin ich begierig zu hoeren.
Appiani. Oh, eine Kleinigkeit!—Sehen Sie; ich soll noch heut eine
Frau nehmen.
Frau nehmen.
Marinelli. Nun? und dann?
Appiani. Und dann?—und dann?—Ihre Frage ist auch verzweifelt naiv.
Marinelli. Man hat Exempel, Herr Graf, dass sich Hochzeiten
aufschieben lassen.—Ich glaube freilich nicht, dass der Braut oder dem
Braeutigam immer damit gedient ist. Die Sache mag ihr Unangenehmes
haben. Aber doch, daecht' ich, der Befehl des Herrn—Appiani. Der
Befehl des Herrn?—des Herrn? Ein Herr, den man sich selber waehlt,
ist unser Herr so eigentlich nicht—Ich gebe zu, dass Sie dem Prinzen
unbedingtem Gehorsam schuldig waeren. Aber nicht ich.—Ich kam an
seinen Hof als ein Freiwilliger. Ich wollte die Ehre haben, ihm zu
dienen, aber nicht sein Sklave werden. Ich bin der Vasall eines
groessern Herrn—Marinelli. Groesser oder kleiner: Herr ist Herr.
Appiani. Dass ich mit Ihnen darueber strittet—Genug, sagen Sie dem
Prinzen, was Sie gehoert haben—dass es mir leid tut, seine Gnade nicht
annehmen zu koennen, weil ich eben heut eine Verbindung vollzoege, die
mein ganzes Glueck ausmache.
Marinelli. Wollen Sie ihm nicht zugleich wissen lassen, mit wem?
Appiani. Mit Emilia Galotti.
Marinelli. Der Tochter aus diesem Hause?
Appiani. Aus diesem Hause.
Marinelli. Hm! Hm!
Appiani. Was beliebt?
Marinelli. Ich sollte meinen, dass es sonach um so weniger
Schwierigkeit haben koenne, die Zeremonie bis zu Ihrer Zurueckkunft
auszusetzen.
Appiani. Die Zeremonie? Nur die Zeremonie?
Marinelli. Die guten Eltern werden es so genau nicht nehmen.
Appiani. Die guten Eltern?
Marinelli. Und Emilia bleibt Ihnen ja wohl gewiss.
Appiani. Ja wohl gewiss?—Sie sind mit Ihrem ja wohl—ja wohl ein
ganzer Affe!
Marinelli. Mir das, Graf?
Appiani. Warum nicht?
Marinelli. Himmel und Hoelle!—Wir werden uns sprechen.
Appiani. Pah! Haemisch ist der Affe; aber—Marinelli. Tod und
Verdammnis!—Graf, ich fodere Genugtuung.
Verdammnis!—Graf, ich fodere Genugtuung.
Appiani. Das versteht sich.
Marinelli. Und wuerde sie gleich itzt nehmen—nur dass ich dem
zaertlichen Braeutigam den heutigen Tag nicht verderben mag.
Appiani. Gutherziges Ding! Nicht doch! Nicht doch! (Indem er ihn
bei der Hand ergreift.) Nach Massa freilich mag ich mich heute nicht
schicken lassen, aber zu einem Spaziergange mit Ihnen hab ich Zeit
uebrig.—Kommen Sie, kommen Sie!
Marinelli (der sich losreisst und abgeht). Nur Geduld, Graf, nur
Geduld!
Geduld!
Elfter Auftritt
Appiani. Claudia Galotti.
Appiani. Geh, Nichtswuerdiger!—Ha! das hat gut getan. Mein Blut ist
in Wallung gekommen. Ich fuehle mich anders und besser.
Claudia (eiligst und besorgt). Gott! Herr Graf—Ich hab einen
heftigen Wortwechsel gehoert.—Ihr Gesicht gluehet. Was ist vorgefallen?
Appiani. Nichts, gnaedige Frau, gar nichts. Der Kammerherr Marinelli
hat mir einen grossen Dienst erwiesen. Er hat mich des Ganges zum
Prinzen ueberhoben.
Claudia. In der Tat?
Appiani. Wir koennen nun um so viel frueher abfahren. Ich gehe, meine
Leute zu treiben, und bin sogleich wieder hier. Emilia wird indes
auch fertig.
Claudia. Kann ich ganz ruhig sein, Herr Graf?
Appiani. Ganz ruhig, gnaedige Frau. (Sie geht herein und er fort.)
Dritter Aufzug
Die Szene: ein Vorsaal auf dem Lustschlosse des Prinzen.
Erster Auftritt
Der Prinz. Marinelli.
Marinelli. Umsonst; er schlug die angetragene Ehre mit der groessten
Verachtung aus.
Verachtung aus.
Der Prinz. Und so bleibt es dabei? So geht es vor sich? so wird
Emilia noch heute die Seinige?
Emilia noch heute die Seinige?
Marinelli. Allem Ansehen nach.
Der Prinz. Ich versprach mir von Ihrem Einfalle so viel!—Wer weiss,
wie albern Sie sich dabei genommen.—Wenn der Rat eines Toren einmal
gut ist, so muss ihn ein gescheiter Mann ausfuehren. Das haett' ich
bedenken sollen.
Marinelli. Da find ich mich schoen belohnt!
Der Prinz. Und wofuer belohnt?
Marinelli. Dass ich noch mein Leben darueber in die Schanze schlagen
wollte.—Als ich sahe, dass weder Ernst noch Spott den Grafen bewegen
konnte, seine Liebe der Ehre nachzusetzen, versucht' ich es, ihn in
Harnisch zu jagen. Ich sagte ihm Dinge, ueber die er sich vergass. Er
stiess Beleidigungen gegen mich aus, und ich forderte Genugtuung—und
forderte sie gleich auf der Stelle.—Ich dachte so: entweder er mich
oder ich ihn. Ich ihn: so ist das Feld ganz unser. Oder er mich: nun,
wenn auch; so muss er fliehen, und der Prinz gewinnt wenigstens Zeit.
Der Prinz. Das haetten Sie getan, Marinelli?
Marinelli. Ha! man sollt' es voraus wissen, wenn man so toericht
bereit ist, sich fuer die Grossen aufzuopfern—man sollt' es voraus
wissen, wie erkenntlich sie sein wuerden—Der Prinz. Und der Graf?—Er
stehet in dem Rufe, sich so etwas nicht zweimal sagen zu lassen.
Marinelli. Nachdem es faellt, ohne Zweifel.—Wer kann es ihm
verdenken?—Er versetzte, dass er auf heute doch noch etwas Wichtigers
zu tun habe, als sich mit mir den Hals zu brechen. Und so beschied er
mich auf die ersten acht Tage nach der Hochzeit.
Der Prinz. Mit Emilia Galotti! Der Gedanke macht mich rasend!
—Darauf liessen Sie es gut sein und gingen—und kommen und prahlen,
dass Sie Ihr Leben fuer mich in die Schanze geschlagen, sich mir
aufgeopfert—Marinelli. Was wollen Sie aber, gnaediger Herr, das ich
weiter haette tun sollen?
Der Prinz. Weiter tun?—Als ob er etwas getan haette!
Marinelli. Und lassen Sie doch hoeren, gnaediger Herr, was Sie fuer sich
selbst getan haben.—Sie waren so gluecklich, sie noch in der Kirche zu
sprechen. Was haben Sie mit ihr abgeredet?
Der Prinz (hoehnisch). Neugierde zur Genuege!—Die ich nur befriedigen
muss.—Oh, es ging alles nach Wunsch.—Sie brauchen sich nicht weiter
zu bemuehen, mein allzu dienstfertiger Freund!—Sie kam meinem
Verlangen mehr als halbes Weges entgegen. Ich haette sie nur gleich
mitnehmen duerfen. (Kalt und befehlend.) Nun wissen Sie, was Sie
wissen wollen—und koennen gehn!
Marinelli. Und koennen gehn!—Ja, ja, das ist das Ende vom Liede! und
wuerd' es sein, gesetzt auch, ich wollte noch das Unmoegliche versuchen.
—Das Unmoegliche sag ich?—So unmoeglich waer' es nun wohl nicht; aber
kuehn!—Wenn wir die Braut in unserer Gewalt haetten, so stuend' ich
dafuer, dass aus der Hochzeit nichts werden sollte.
Der Prinz. Ei! wofuer der Mann nicht alles stehen will! Nun duerft'
ich ihm nur noch ein Kommando von meiner Leibwache geben, und er legte
sich an der Landstrasse damit in Hinterhalt und fiele selbst funfziger
einen Wagen an, und riss' ein Maedchen heraus, das er im Triumphe mir
zubraechte.
Marinelli. Es ist eher ein Maedchen mit Gewalt entfuehrt worden, ohne
dass es einer gewaltsamen Entfuehrung aehnlich gesehen.
Der Prinz. Wenn Sie das zu machen wuessten, so wuerden Sie nicht erst
lange davon schwatzen.
Marinelli. Aber fuer den Ausgang muesste man nicht stehen sollen.—Es
koennten sich Ungluecksfaelle dabei ereignen—Der Prinz. Und es ist meine
Art, dass ich Leute Dinge verantworten lasse, wofuer sie nicht koennen!
Marinelli. Also, gnaediger Herr—(Man hoert von weitem einen Schuss.) Ha!
was war das?—Hoert' ich recht?—Hoerten Sie nicht auch, gnaediger Herr,
einen Schuss fallen?—Und da noch einen!
Der Prinz. Was ist das? was gibt's?
Marinelli. Was meinen Sie wohl?—Wie, wann ich taetiger waere, als Sie
glauben?
Der Prinz. Taetiger?—So sagen Sie doch—Marinelli. Kurz: wovon ich
gesprochen, geschieht.
Der Prinz. Ist es moeglich?
Marinelli. Nur vergessen Sie nicht, Prinz, wessen Sie mich eben
versichert.—Ich habe nochmals Ihr Wort—Der Prinz. Aber die Anstalten
sind doch so—Marinelli. Als sie nur immer sein koennen!—Die
Ausfuehrung ist Leuten anvertrauet, auf die ich mich verlassen kann.
Der Weg geht hart an der Planke des Tiergartens vorbei. Da wird ein
Teil den Wagen angefallen haben; gleichsam, um ihn zu pluendern. Und
ein anderer Teil, wobei einer von meinen Bedienten ist, wird aus dem
Tiergarten gestuerzt sein; den Angefallenen gleichsam zur Huelfe.
Waehrend des Handgemenges, in das beide Teile zum Schein geraten, soll
mein Bedienter Emilien ergreifen, als ob er sie retten wolle, und
durch den Tiergarten in das Schloss bringen.—So ist die Abrede.—Was
sagen Sie nun, Prinz?
Der Prinz. Sie ueberraschen mich auf eine sonderbare Art.—Und eine
Bangigkeit ueberfaellt mich—(Marinelli geht an das Fenster.) Wornach
sehen Sie?
Marinelli. Dahinaus muss es sein!—Recht!—und eine Maske koemmt
bereits um die Planke gesprengt—ohne Zweifel, mir den Erfolg zu
berichten.—Entfernen Sie sich, gnaediger Herr.
Der Prinz. Ah, Marinelli—Marinelli. Nun? Nicht wahr, nun hab ich zu
viel getan, und vorhin zu wenig?
Der Prinz. Das nicht. Aber ich sehe bei alledem nicht ab—Marinelli.
Absehn?—Lieber alles mit eins!—Geschwind, entfernen Sie sich.—Die
Maske muss Sie nicht sehen. (Der Prinz gehet ab.)
Absehn?—Lieber alles mit eins!—Geschwind, entfernen Sie sich.—Die
Maske muss Sie nicht sehen. (Der Prinz gehet ab.)
Zweiter Auftritt
Marinelli und bald darauf Angelo.
Marinelli (der wieder nach dem Fenster geht). Dort faehrt der Wagen
langsam nach der Stadt zurueck.—So langsam? Und in jedem Schlage ein
Bedienter?—Das sind Anzeichen, die mir nicht gefallen—dass der
Streich wohl nur halb gelungen ist:—dass man einen Verwundeten
gemaechlich zurueckfuehret—und keinen Toten.—Die Maske steigt ab.—Es
ist Angelo selbst. Der Tolldreiste!—Endlich, hier weiss er die
Schliche.—Er winkt mir zu. Er muss seiner Sache gewiss sein.—Ha, Herr
Graf, der Sie nicht nach Massa wollten, und nun noch einen weitern Weg
muessen!—Wer hatte Sie die Affen so kennen gelehrt? (Indem er nach
der Tuere zugeht.) Jawohl sind sie haemisch.—Nun, Angelo?
Angelo (der die Maske abgenommen). Passen Sie auf, Herr Kammerherr!
Man muss sie gleich bringen.
Man muss sie gleich bringen.
Marinelli. Und wie lief es sonst ab?
Angelo. Ich denke ja, recht gut.
Marinelli. Wie steht es mit dem Grafen?
Angelo. Zu dienen! So, so!—Aber er muss Wind gehabt haben. Denn er
war nicht so ganz unbereitet.
Marinelli. Geschwind sage mir, was du mir zu sagen hast!—Ist er tot?
Angelo. Es tut mir leid um den guten Herrn.
Marinelli. Nun da, fuer dein mitleidiges Herz! (Gibt ihm einen Beutel
mit Gold.)
Angelo. Vollends mein braver Nicolo! der das Bad mit bezahlen muessen.
Marinelli. So? Verlust auf beiden Seiten?
Angelo. Ich koennte weinen um den ehrlichen Jungen! Ob mir sein Tod
schon das (indem er den Beutel in der Hand wieget) um ein Vierteil
verbessert. Denn ich bin sein Erbe, weil ich ihn geraechet habe. Das
ist so unser Gesetz; ein so gutes, mein ich, als fuer Treu' und
Freundschaft je gemacht worden. Dieser Nicolo, Herr Kammerherr
—Marinelli. Mit deinem Nicolo!—Aber der Graf, der Graf—Angelo.
Blitz! der Graf hatte ihn gut gefasst. Dafuer fasst' ich auch wieder
den Grafen!—Er stuerzte; und wenn er noch lebendig zurueck in die
Kutsche kam, so steh ich dafuer, dass er nicht lebendig wieder
herauskommt.
Marinelli. Wenn das nur gewiss ist, Angelo.
Angelo. Ich will Ihre Kundschaft verlieren, wenn es nicht gewiss ist!
—Haben Sie noch was zu befehlen? Denn mein Weg ist der weiteste: wir
wollen heute noch ueber die Grenze.
Marinelli. So geh.
Angelo. Wenn wieder was vorfaellt, Herr Kammerherr—Sie wissen, wo ich
zu erfragen bin. Was sich ein andrer zu tun getrauet, wird fuer mich
auch keine Hexerei sein. Und billiger bin ich als jeder andere.
(Geht ab.)
Marinelli. Gut das!—Aber doch nicht so recht gut.—Pfui, Angelo! so
ein Knicker zu sein! Einen zweiten Schuss waere er ja wohl noch wert
gewesen.—Und wie er sich vielleicht nun martern muss, der arme Graf!
—Pfui, Angelo! Das heisst sein Handwerk sehr grausam treiben—und
verpfuschen.—Aber davon muss der Prinz noch nichts wissen. Er muss
erst selbst finden, wie zutraeglich ihm dieser Tod ist.—Dieser Tod!
—Was gaeb' ich um die Gewissheit!
Dritter Auftritt
Der Prinz. Marinelli.
Der Prinz. Dort koemmt sie die Allee herauf. Sie eilet vor dem
Bedienten her. Die Furcht, wie es scheinet, befluegelt ihre Fuesse. Sie
muss noch nichts argwoehnen. Sie glaubt sich nur vor Raeubern zu retten.
—Aber wie lange kann das dauren?
Bedienten her. Die Furcht, wie es scheinet, befluegelt ihre Fuesse. Sie
muss noch nichts argwoehnen. Sie glaubt sich nur vor Raeubern zu retten.
—Aber wie lange kann das dauren?
Marinelli. So haben wir sie doch fuers erste.
Der Prinz. Und wird die Mutter sie nicht aufsuchen? Wird der Graf
ihr nicht nachkommen? Was sind wir alsdenn weiter? Wie kann ich sie
ihnen vorenthalten?
Marinelli. Auf das alles weiss ich freilich noch nichts zu antworten.
Aber wir muessen sehen. Gedulden Sie sich, gnaediger Herr. Der erste
Schritt musste doch getan sein.—Der Prinz. Wozu? wenn wir ihn
zuruecktun muessen.
Aber wir muessen sehen. Gedulden Sie sich, gnaediger Herr. Der erste
Schritt musste doch getan sein.—Der Prinz. Wozu? wenn wir ihn
zuruecktun muessen.
Marinelli. Vielleicht muessen wir nicht.—Da sind tausend Dinge, auf
die sich weiter fussen laesst.—Und vergessen Sie denn das Vornehmste?
Der Prinz. Wie kann ich vergessen, woran ich sicher noch nicht
gedacht habe?—Das Vornehmste? was ist das?
Marinelli. Die Kunst zu gefallen, zu ueberreden—die einem Prinzen,
welcher liebt, nie fehlet.
Der Prinz. Nie fehlet? Ausser, wo er sie gerade am noetigsten brauchte.
—Ich habe von dieser Kunst schon heut einen zu schlechten Versuch
gemacht. Mit allen Schmeicheleien und Beteuerungen konnt' ich ihr
auch nicht ein Wort auspressen. Stumm und niedergeschlagen und
zitternd stand sie da; wie eine Verbrecherin, die ihr Todesurteil
hoeret. Ihre Angst steckte mich an, ich zitterte mit und schloss mit
einer Bitte um Vergebung. Kaum getrau ich mir, sie wieder anzureden.
—Bei ihrem Eintritte wenigstens wag ich es nicht zu sein. Sie,
Marinelli, muessen sie empfangen. Ich will hier in der Naehe hoeren, wie
es ablaeuft; und kommen, wenn ich mich mehr gesammelt habe.
Vierter Auftritt
Marinelli, und bald darauf dessen Bedienter Battista mit Emilien.
Marinelli. Wenn sie ihn nicht selbst stuerzen gesehen—Und das muss sie
wohl nicht; da sie so fortgeeilet—Sie koemmt. Auch ich will nicht das
erste sein, was ihr hier in die Augen faellt. (Er zieht sich in einen
Winkel des Saales zurueck.)
Battista. Nur hier herein, gnaediges Fraeulein!
Emilia (ausser Atem). Ah!—Ah!—Ich danke Ihm, mein Freund—ich dank
Ihm.—Aber Gott, Gott! wo bin ich?—Und so ganz allein? Wo bleibt
meine Mutter? Wo blieb der Graf?—Sie kommen doch nach? mir auf dem
Fusse nach?
Ihm.—Aber Gott, Gott! wo bin ich?—Und so ganz allein? Wo bleibt
meine Mutter? Wo blieb der Graf?—Sie kommen doch nach? mir auf dem
Fusse nach?
Battista. Ich vermute.
Emilia. Er vermutet? Er weiss es nicht? Er sah sie nicht?—Ward
nicht gar hinter uns geschossen?—Battista. Geschossen?—Das waere!
—Emilia. Ganz gewiss! Und das hat den Grafen oder meine Mutter
getroffen.—Battista. Ich will gleich nach ihnen ausgehen.
Emilia. Nicht ohne mich.—Ich will mit; ich muss mit: komm' Er, mein
Freund!
Freund!
Marinelli (der ploetzlich herzutritt, als ob er eben hereinkaeme). Ah,
gnaediges Fraeulein! Was fuer ein Unglueck, oder vielmehr, was fuer ein
Glueck—was fuer ein glueckliches Unglueck verschafft uns die Ehre—Emilia
(stutzend). Wie? Sie hier, mein Herr?—Ich bin also wohl bei
Ihnen?—Verzeihen Sie, Herr Kammerherr. Wir sind von Raeubern ohnfern
ueberfallen worden. Da kamen uns gute Leute zu Hilfe—und dieser
ehrliche Mann hob mich aus dem Wagen und brachte mich hierher.—Aber
ich erschrecke, mich allein gerettet zu sehen. Meine Mutter ist noch
in der Gefahr. Hinter uns ward sogar geschossen. Sie ist vielleicht
tot—und ich lebe?—Verzeihen Sie. Ich muss fort; ich muss wieder
hin—wo ich gleich haette bleiben sollen.
Marinelli. Beruhigen Sie sich, gnaediges Fraeulein. Es stehet alles
gut; sie werden bald bei Ihnen sein, die geliebten Personen, fuer die
Sie so viel zaertliche Angst empfinden.—Indes, Battista, geh, lauf:
sie duerften vielleicht nicht wissen, wo das Fraeulein ist. Sie duerften
sie vielleicht in einem von den Wirtschaftshaeusern des Gartens suchen.
Bringe sie unverzueglich hierher. (Battista geht ab.)
Emilia. Gewiss? Sind sie alle geborgen? Ist ihnen nichts
widerfahren?—Ah, was ist dieser Tag fuer ein Tag des Schreckens fuer
mich!—Aber ich sollte nicht hier bleiben—ich sollte ihnen
entgegeneilen—Marinelli. Wozu das, gnaediges Fraeulein? Sie sind
ohnedem schon ohne Atem und Kraefte. Erholen Sie sich vielmehr und
geruhen in ein Zimmer zu treten, wo mehr Bequemlichkeit ist.—Ich will
wetten, dass der Prinz schon selbst um Ihre teure, ehrwuerdige Mutter
ist und sie Ihnen zufuehret.
Emilia. Wer, sagen Sie?
Marinelli. Unser gnaedigster Prinz selbst.
Emilia (aeusserst bestuerzt). Der Prinz?
Marinelli. Er floh auf die erste Nachricht Ihnen zu Huelfe.—Er ist
hoechst ergrimmt, dass ein solches Verbrechen ihm so nahe, unter seinen
Augen gleichsam, hat duerfen gewagt werden. Er laesst den Taetern
nachsetzen, und ihre Strafe, wenn sie ergriffen werden, wird unerhoert
sein.
Emilia. Der Prinz!—Wo bin ich denn also?
Marinelli. Auf Dosalo, dem Lustschlosse des Prinzen.
Emilia. Welch ein Zufall!—Und Sie glauben, dass er gleich selbst
erscheinen koenne?—Aber doch in Gesellschaft meiner Mutter?
Marinelli. Hier ist er schon.
Fuenfter Auftritt
Der Prinz. Emilia. Marinelli.
Der Prinz. Wo ist sie? wo?—Wir suchen Sie ueberall, schoenstes
Fraeulein.—Sie sind doch wohl?—Nun so ist alles wohl! Der Graf, Ihre
Mutter—Emilia. Ah, gnaedigster Herr! Wo sind sie? Wo ist meine
Mutter?
Fraeulein.—Sie sind doch wohl?—Nun so ist alles wohl! Der Graf, Ihre
Mutter—Emilia. Ah, gnaedigster Herr! Wo sind sie? Wo ist meine
Mutter?
Der Prinz. Nicht weit; hier ganz in der Naehe.
Emilia. Gott, in welchem Zustande werde ich die eine oder den andern
vielleicht treffen! Ganz gewiss treffen!—denn Sie verhehlen mir,
gnaediger Herr—ich seh es, Sie verhehlen mir—Der Prinz. Nicht doch,
bestes Fraeulein.—Geben Sie mir Ihren Arm und folgen Sie mir getrost.
Emilia (unentschlossen). Aber—wenn ihnen nichts widerfahren—wenn
meine Ahnungen mich truegen:—warum sind sie nicht schon hier? Warum
kamen sie nicht mit Ihnen, gnaediger Herr?
Der Prinz. So eilen Sie doch, mein Fraeulein, alle diese
Schreckenbilder mit eins verschwinden zu sehen.
Schreckenbilder mit eins verschwinden zu sehen.
Emilia. Was soll ich tun? (Die Haende ringend.)
Der Prinz. Wie, mein Fraeulein? Sollten Sie einen Verdacht gegen mich
hegen?—Emilia (die vor ihm niederfaellt). Zu Ihren Fuessen, gnaediger
Herr—Der Prinz (sie aufhebend). Ich bin aeusserst beschaemt.—Ja, Emilia,
ich verdiene diesen stummen Vorwurf.—Mein Betragen diesen Morgen ist
nicht zu rechtfertigen:—zu entschuldigen hoechstens. Verzeihen Sie
meiner Schwachheit.—Ich haette Sie mit keinem Gestaendnisse beunruhigen
sollen, von dem ich keinen Vorteil zu erwarten habe. Auch ward ich
durch die sprachlose Bestuerzung, mit der Sie es anhoerten, oder
vielmehr nicht anhoerten, genugsam bestraft.—Und koennt' ich schon
diesen Zufall, der mir nochmals, ehe alle meine Hoffnung auf ewig
verschwindet—mir nochmals das Glueck, Sie zu sehen und zu sprechen,
verschafft; koennt' ich schon diesen Zufall fuer den Wink eines
guenstigen Glueckes erklaeren—fuer den wunderbarsten Aufschub meiner
endlichen Verurteilung erklaeren, um nochmals um Gnade flehen zu duerfen:
so will ich doch—beben Sie nicht, mein Fraeulein—einzig und allein
von Ihrem Blicke abhangen. Kein Wort, kein Seufzer soll Sie
beleidigen.—Nur kraenke mich nicht Ihr Misstrauen. Nur zweifeln Sie
keinen Augenblick an der unumschraenktesten Gewalt, die Sie ueber mich
haben. Nur falle Ihnen nie bei, dass Sie eines andern Schutzes gegen
mich beduerfen.—Und nun kommen Sie, mein Fraeulein—kommen Sie, wo
Entzueckungen auf Sie warten, die Sie mehr billigen. (Er fuehrt sie,
nicht ohne Straeuben, ab.) Folgen Sie uns, Marinelli.—Marinelli.
Folgen Sie uns—das mag heissen: folgen Sie uns nicht!—Was haette ich
ihnen auch zu folgen? Er mag sehen, wie weit er es unter vier Augen
mit ihr bringt.—Alles, was ich zu tun habe, ist—zu verhindern, dass
sie nicht gestoeret werden. Von dem Grafen zwar hoffe ich nun wohl
nicht. Aber von der Mutter; von der Mutter! Es sollte mich sehr
wundern, wenn die so ruhig abgezogen waere und ihre Tochter im Stiche
gelassen haette.—Nun, Battista? was gibt's?
Sechster Auftritt
Battista. Marinelli.
Battista (eiligst). Die Mutter, Herr Kammerherr—Marinelli. Dacht'
ich's doch!—Wo ist sie?
Battista. Wann Sie ihr nicht zuvorkommen, so wird sie den Augenblick
hier sein.—Ich war gar nicht willens, wie Sie mir zum Schein geboten,
mich nach ihr umzusehen: als ich ihr Geschrei von weitem hoerte. Sie
ist der Tochter auf der Spur, und wo nur nicht—unserm ganzen
Anschlage! Alles, was in dieser einsamen Gegend von Menschen ist, hat
sich um sie versammelt; und jeder will der sein, der ihr den Weg
weiset. Ob man ihr schon gesagt, dass der Prinz hier ist, dass Sie hier
sind, weiss ich nicht.—Was wollen Sie tun?
Marinelli. Lass sehen!—(Er ueberlegt.) Sie nicht einlassen, wenn sie
weiss, dass die Tochter hier ist?—Das geht nicht.—Freilich, sie wird
Augen machen, wenn sie den Wolf bei dem Schaefchen sieht.—Augen? Das
moechte noch sein. Aber der Himmel sei unsern Ohren gnaedig!—Nun was?
die beste Lunge erschoepft sich, auch sogar eine weibliche. Sie hoeren
alle auf zu schreien, wenn sie nicht mehr koennen.—Dazu, es ist doch
einmal die Mutter, die wir auf unserer Seite haben muessen.—Wenn ich
die Muetter recht kenne—so etwas von einer Schwiegermutter eines
Prinzen zu sein, schmeichelt die meisten.—Lass sie kommen, Battista,
lass sie kommen!
Battista. Hoeren Sie! hoeren Sie!
Claudia Galotti (innerhalb). Emilia! Emilia! Mein Kind, wo bist du?
Marinelli. Geh, Battista, und suche nur ihre neugierigen Begleiter zu
entfernen.
Siebenter Auftritt
Claudia Galotti. Battista. Marinelli.
Claudia (die in die Tuer tritt, indem Battista herausgehen will). Ha!
der hob sie aus dem Wagen! Der fuehrte sie fort! Ich erkenne dich.
Wo ist sie? Sprich, Ungluecklicher!
Battista. Das ist mein Dank?
Claudia. Oh, wenn du Dank verdienest (in einem gelinden Tone)—so
verzeihe mir, ehrlicher Mann!—Wo ist sie?—Lasst mich sie nicht laenger
entbehren. Wo ist sie?
Battista. Oh, Ihre Gnaden, sie koennte in dem Schosse der Seligkeit
nicht aufgehobner sein.—Hier mein Herr wird Ihre Gnaden zu ihr fuehren.
(Gegen einige Leute, die nachdringen wollen.) Zurueck da! ihr!
Achter Auftritt
Claudia Galotti. Marinelli.
Claudia. Dein Herr?—(Erblickt den Marinelli und faehrt zurueck.) Ha!
—Das dein Herr?—Sie hier, mein Herr? Und hier meine Tochter? Und
Sie, Sie sollen mich zu ihr fuehren?
—Das dein Herr?—Sie hier, mein Herr? Und hier meine Tochter? Und
Sie, Sie sollen mich zu ihr fuehren?
Marinelli. Mit vielem Vergnuegen, gnaedige Frau.
Claudia. Halten Sie!—Eben faellt mir es bei—Sie waren es
ja—nicht?—der den Grafen diesen Morgen in meinem Hause aufsuchte?
mit dem ich ihn allein liess? mit dem er Streit bekam?
Marinelli. Streit?—Was ich nicht wuesste: ein unbedeutender
Wortwechsel in herrschaftlichen Angelegenheiten—Claudia. Und
Marinelli heissen Sie?
Wortwechsel in herrschaftlichen Angelegenheiten—Claudia. Und
Marinelli heissen Sie?
Marinelli. Marchese Marinelli.
Claudia. So ist es richtig.—Hoeren Sie doch, Herr Marchese.
—Marinelli war—der Name Marinelli war—begleitet mit einer
Verwuenschung—Nein, dass ich den edeln Mann nicht verleumde!—begleitet
mit keiner Verwuenschung—Die Verwuenschung denk ich hinzu—Der Name
Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen.
—Marinelli war—der Name Marinelli war—begleitet mit einer
Verwuenschung—Nein, dass ich den edeln Mann nicht verleumde!—begleitet
mit keiner Verwuenschung—Die Verwuenschung denk ich hinzu—Der Name
Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen.
Marinelli. Des sterbenden Grafen? Grafen Appiani?—Sie hoeren,
gnaedige Frau, was mir in Ihrer seltsamen Rede am meisten auffaellt.
—Des sterbenden Grafen?—Was Sie sonst sagen wollen, versteh ich
nicht.
Claudia (bitter und langsam). Der Name Marinelli war das letzte Wort
des sterbenden Grafen!—Verstehen Sie nun?—Ich verstand es erst auch
nicht, obschon mit einem Tone gesprochen—mit einem Tone!—Ich hoere
ihn noch! Wo waren meine Sinne, dass sie diesen Ton nicht sogleich
verstanden?
Marinelli. Nun, gnaedige Frau?—Ich war von jeher des Grafen Freund;
sein vertrautester Freund. Also, wenn er mich noch im Sterben
nannte—Claudia. Mit dem Tone?—Ich kann ihn nicht nachmachen; ich
kann ihn nicht beschreiben: aber er enthielt alles! alles!—Was?
Raeuber waeren es gewesen, die uns anfielen?—Moerder waren es; erkaufte
Moerder!—Und Marinelli, Marinelli war das letzte Wort des sterbenden
Grafen! Mit einem Tone!
Marinelli. Mit einem Tone?—Ist es erhoert, auf einen Ton, in einem
Augenblicke des Schreckens vernommen, die Anklage eines rechtschaffnen
Mannes zu gruenden?
Augenblicke des Schreckens vernommen, die Anklage eines rechtschaffnen
Mannes zu gruenden?
Claudia. Ha, koennt' ich ihn nur vor Gerichte stellen, diesen Ton!
—Doch, weh mir! Ich vergesse darueber meine Tochter.—Wo ist
sie?—Wie? auch tot?—Was konnte meine Tochter dafuer, dass Appiani dein
Feind war?
—Doch, weh mir! Ich vergesse darueber meine Tochter.—Wo ist
sie?—Wie? auch tot?—Was konnte meine Tochter dafuer, dass Appiani dein
Feind war?
Marinelli. Ich verzeihe der bangen Mutter.—Kommen Sie, gnaedige
Frau—Ihre Tochter ist hier; in einem von den naechsten Zimmern, und
hat sich hoffentlich von ihrem Schrecken schon voellig erholt. Mit der
zaertlichsten Sorgfalt ist der Prinz selbst um sie beschaeftiget—Claudia.
Wer?—Wer selbst?
Marinelli. Der Prinz.
Claudia. Der Prinz?—Sagen Sie wirklich der Prinz?—Unser Prinz?
Marinelli. Welcher sonst?
Claudia. Nun dann!—Ich unglueckselige Mutter!—Und ihr Vater! ihr
Vater!—Er wird den Tag ihrer Geburt verfluchen. Er wird mich
verfluchen.
Marinelli. Um des Himmels willen, gnaedige Frau! Was faellt Ihnen nun
ein?
Claudia. Es ist klar!—Ist es nicht?—Heute im Tempel! vor den Augen
der Allerreinesten! in der naehern Gegenwart des Ewigen!—begann das
Bubenstueck, da brach es aus! (Gegen den Marinelli.) Ha, Moerder!
feiger, elender Moerder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden,
aber nichtswuerdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu
morden!—morden zu lassen!—Abschaum aller Moerder!—Was ehrliche
Moerder sind, werden dich unter sich nicht dulden! Dich! Dich!—Denn
warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen meinen Geifer mit
einem einzigen Worte ins Gesicht speien?—Dich! Dich Kuppler!
Marinelli. Sie schwaermen, gute Frau.—Aber maessigen Sie wenigstens Ihr
wildes Geschrei, und bedenken Sie, wo Sie sind.
Claudia. Wo ich bin? Bedenken, wo ich bin?—Was kuemmert es die Loewin,
der man die Jungen geraubt, in wessen Walde sie bruellet?
Emilia (innerhalb). Ha, meine Mutter! Ich hoere meine Mutter!
Claudia. Ihre Stimme? Das ist sie! Sie hat mich gehoert, sie hat
mich gehoert. Und ich sollte nicht schreien?—Wo bist du, mein Kind?
Ich komme, ich komme! (Sie stuerzt in das Zimmer und Marinelli ihr
nach.)
Vierter Aufzug
Die Szene bleibt.
Erster Auftritt
Der Prinz. Marinelli.
Der Prinz (als aus dem Zimmer von Emilien kommend). Kommen Sie,
Marinelli! Ich muss mich erholen—und muss Licht von Ihnen haben.
Marinelli! Ich muss mich erholen—und muss Licht von Ihnen haben.
Marinelli. O der muetterlichen Wut! Ha! ha! ha!
Der Prinz. Sie lachen?
Marinelli. Wenn Sie gesehen haetten, Prinz, wie toll sich hier, hier
im Saale, die Mutter gebaerdete—Sie hoerten sie ja wohl schreien!—und
wie zahm sie auf einmal ward, bei dem ersten Anblicke von Ihnen—Ha!
ha!—Das weiss ich ja wohl, dass keine Mutter einem Prinzen die Augen
auskratzt, weil er ihre Tochter schoen findet.
Der Prinz. Sie sind ein schlechter Beobachter!—Die Tochter stuerzte
der Mutter ohnmaechtig in die Arme. Darueber vergass die Mutter ihre Wut,
nicht ueber mir. Ihre Tochter schonte sie, nicht mich, wenn sie es
nicht lauter, nicht deutlicher sagte—was ich lieber selbst nicht
gehoert, nicht verstanden haben will.
Marinelli. Was, gnaediger Herr?
Der Prinz. Wozu die Verstellung?—Heraus damit. Ist es wahr? oder
ist es nicht wahr?
Marinelli. Und wenn es denn waere!
Der Prinz. Wenn es denn waere?—Also ist es?—Er ist tot?
tot?—(Drohend.) Marinelli! Marinelli!
Marinelli. Nun?
Der Prinz. Bei Gott! Bei dem allgerechten Gott! Ich bin unschuldig
an diesem Blute.—Wenn Sie mir vorher gesagt haetten, dass es dem Grafen
das Leben kosten werde—Nein, nein! und wenn es mir selbst das Leben
gekostet haette!—Marinelli. Wenn ich Ihnen vorher gesagt haette?—Als
ob sein Tod in meinem Plane gewesen waere! Ich hatte es dem Angelo auf
die Seele gebunden, zu verhueten, dass niemanden Leides geschaehe. Es
wuerde auch ohne die geringste Gewalttaetigkeit abgelaufen sein, wenn
sich der Graf nicht die erste erlaubt haette. Er schoss Knall und Fall
den einen nieder.
Der Prinz. Wahrlich, er haette sollen Spass verstehen!
Marinelli. Dass Angelo sodann in Wut kam und den Tod seines Gefaehrten
raechte—Der Prinz. Freilich, das ist sehr natuerlich!
Marinelli. Ich hab es ihm genug verwiesen.
Der Prinz. Verwiesen? Wie freundschaftlich!—Warnen Sie ihn, dass er
sich in meinem Gebiete nicht betreten laesst. Mein Verweis moechte so
freundschaftlich nicht sein.
Marinelli. Recht wohl!—Ich und Angelo, Vorsatz und Zufall: alles ist
eins.—Zwar ward es voraus bedungen, zwar ward es voraus versprochen,
dass keiner der Ungluecksfaelle, die sich dabei ereignen koennten, mir
zuschulden kommen solle—Der Prinz. Die sich dabei ereignen—koennten,
sagen Sie? oder sollten?
Marinelli. Immer besser!—Doch, gnaediger Herr—ehe Sie mir es mit dem
trocknen Worte sagen, wofuer Sie mich halten—eine einzige Vorstellung!
Der Tod des Grafen ist mir nichts weniger als gleichgueltig. Ich
hatte ihn ausgefodert; er war mir Genugtuung schuldig, er ist ohne
diese aus der Welt gegangen, und meine Ehre bleibt beleidiget.
Gesetzt, ich verdiente unter jeden andern Umstaenden den Verdacht, den
Sie gegen mich hegen, aber auch unter diesen?—(Mit einer angenommenen
Hitze.) Wer das von mir denken kann!—Der Prinz (nachgebend). Nun gut,
nun gut—Marinelli. Dass er noch lebtet. O dass er noch lebte! Alles,
alles in der Welt wollte ich darum geben—(bitter) selbst die Gnade
meines Prinzen—diese unschaetzbare, nie zu verscherzende Gnade—wollt'
ich drum geben!
Der Prinz. Ich verstehe.—Nun gut, nun gut. Sein Tod war Zufall,
blosser Zufall. Sie versichern es; und ich, ich glaub es.—Aber wer
mehr? Auch die Mutter? Auch Emilia?—Auch die Welt?
Marinelli (kalt). Schwerlich.
Der Prinz. Und wenn man es nicht glaubt, was wird man denn
glauben?—Sie zucken die Achsel?—Ihren Angelo wird man fuer das
Werkzeug und mich fuer den Taeter halten—Marinelli (noch kaelter).
Wahrscheinlich genug.
glauben?—Sie zucken die Achsel?—Ihren Angelo wird man fuer das
Werkzeug und mich fuer den Taeter halten—Marinelli (noch kaelter).
Wahrscheinlich genug.
Der Prinz. Mich! mich selbst!—Oder ich muss von Stund' an alle
Absicht auf Emilien aufgeben—Marinelli (hoechst gleichgueltig). Was Sie
auch gemusst haetten—wenn der Graf noch lebte.—Der Prinz (heftig, aber
sich gleich wieder fassend). Marinelli!—Doch Sie sollen mich nicht
wild machen.—Es sei so—Es ist so! Und das wollen Sie doch nur sagen:
der Tod des Grafen ist fuer mich ein Glueck—das groesste Glueck, was mir
begegnen konnte—das einzige Glueck, was meiner Liebe zustatten kommen
konnte. Und als dieses—mag er doch geschehen sein, wie er will!—Ein
Graf mehr in der Welt oder weniger! Denke ich Ihnen so recht?—Topp!
auch ich erschrecke vor einem kleinen Verbrechen nicht. Nur, guter
Freund, muss es ein kleines Verbrechen, ein kleines stilles, heilsames
Verbrechen sein. Und sehen Sie, unseres da, waere nun gerade weder
stille noch heilsam. Es haette den Weg zwar gereiniget, aber zugleich
gesperrt. Jedermann wuerde es uns auf den Kopf zusagen—und leider
haetten wir es gar nicht einmal begangen!—Das liegt doch wohl nur bloss
an Ihren weisen, wunderbaren Anstalten?
Marinelli. Wenn Sie so befehlen—Der Prinz. Woran sonst?—Ich will
Rede!
Rede!
Marinelli. Es koemmt mehr auf meine Rechnung, was nicht darauf gehoert.
Der Prinz. Rede will ich!
Marinelli. Nun dann! Was laege an meinen Anstalten? dass den Prinzen
bei diesem Unfalle ein so sichtbarer Verdacht trifft?—An dem
Meisterstreiche liegt das, den er selbst meinen Anstalten mit
einzumengen die Gnade hatte.
Der Prinz. Ich?
Marinelli. Er erlaube mir, ihm zu sagen, dass der Schritt, den er
heute morgen in der Kirche getan—mit so vielem Anstande er ihn auch
getan—so unvermeidlich er ihn auch tun musste—, dass dieser Schritt
dennoch nicht in den Tanz gehoerte.
Der Prinz. Was verdarb er denn auch?
Marinelli. Freilich nicht den ganzen Tanz, aber doch voritzo den Takt.
Der Prinz. Hm! Versteh ich Sie?
Marinelli. Also, kurz und einfaeltig. Da ich die Sache uebernahm,
nicht wahr, da wusste Emilia von der Liebe des Prinzen noch nichts?
Emiliens Mutter noch weniger. Wenn ich nun auf diesen Umstand baute?
und der Prinz indes den Grund meines Gebaeudes untergrub?
Der Prinz (sich vor die Stirne schlagend). Verwuenscht!
Marinelli. Wenn er es nun selbst verriet, was er im Schilde fuehre?
Der Prinz. Verdammter Einfall!
Marinelli. Und wenn er es nicht selbst verraten haette?—Traun! Ich
moechte doch wissen, aus welcher meiner Anstalten Mutter oder Tochter
den geringsten Argwohn gegen ihn schoepfen koennte?
Der Prinz. Dass Sie recht haben!
Marinelli. Daran tu ich freilich sehr unrecht—Sie werden verzeihen,
gnaediger Herr.
Zweiter Auftritt
Battista. Der Prinz. Marinelli.
Battista (eiligst). Eben koemmt die Graefin an.
Der Prinz. Die Graefin? Was fuer eine Graefin?
Battista. Orsina.
Der Prinz. Orsina?—Marinelli!—Orsina?—Marinelli!
Marinelli. Ich erstaune darueber nicht weniger als Sie selbst.
Der Prinz. Geh, lauf, Battista: Sie soll nicht aussteigen. Ich bin
nicht hier. Ich bin fuer sie nicht hier. Sie soll augenblicklich
wieder umkehren. Geh, lauf!—(Battista geht ab.) Was will die Naerrin?
Was untersteht sie sich? Wie weiss sie, dass wir hier sind? Sollte
sie wohl auf Kundschaft kommen? Sollte sie wohl schon etwas vernommen
haben?—Ah, Marinelli! So reden Sie, so antworten Sie doch!—Ist er
beleidiget, der Mann, der mein Freund sein will? Und durch einen
elenden Wortwechsel beleidiget? Soll ich ihn um Verzeihung bitten?
Marinelli. Ah, mein Prinz, sobald Sie wieder Sie sind, bin ich mit
ganzer Seele wieder der Ihrige!—Die Ankunft der Orsina ist mir ein
Raetsel wie Ihnen. Doch abweisen wird sie schwerlich sich lassen. Was
wollen Sie tun?
Der Prinz. Sie durchaus nicht sprechen, mich entfernen—Marinelli.
Wohl! und nur geschwind. Ich will sie empfangen—Der Prinz. Aber bloss,
um sie gehen zu heissen.—Weiter geben Sie mit ihr sich nicht ab. Wir
haben andere Dinge hier zu tun—Marinelli. Nicht doch, Prinz! Diese
andern Dinge sind getan. Fassen Sie doch Mut! Was noch fehlt, koemmt
sicherlich von selbst.—Aber hoer ich sie nicht schon?—Eilen Sie,
Prinz!—Da (auf ein Kabinett zeigend, in welches sich der Prinz
begibt), wenn Sie wollen, werden Sie uns hoeren koennen.—Ich fuerchte,
ich fuerchte, sie ist nicht zu ihrer besten Stunde ausgefahren.
Dritter Auftritt
Die Graefin Orsina. Marinelli.
Orsina (ohne den Marinelli anfangs zu erblicken). Was ist
das?—Niemand koemmt mir entgegen, ausser ein Unverschaemter, der mir
lieber gar den Eintritt verweigert haette?—Ich bin doch zu Dosalo? Zu
dem Dosalo, wo mir sonst ein ganzes Heer geschaeftiger Augendiener
entgegenstuerzte? wo mich sonst Liebe und Entzuecken erwarteten?—Der
Ort ist es, aber, aber!—Sieh da, Marinelli!—Recht gut, dass der Prinz
Sie mitgenommen.—Nein, nicht gut! Was ich mit ihm auszumachen haette,
haette ich nur mit ihm auszumachen.—Wo ist er?
Marinelli. Der Prinz, meine gnaedige Graefin?
Orsina. Wer sonst?
Marinelli. Sie vermuten ihn also hier? wissen ihn hier?—Er
wenigstens ist der Graefin Orsina hier nicht vermutend.
Orsina. Nicht? So hat er meinen Brief heute morgen nicht erhalten?
Marinelli. Ihren Brief? Doch ja, ich erinnere mich, dass er eines
Briefes von Ihnen erwaehnte.
Briefes von Ihnen erwaehnte.
Orsina. Nun? habe ich ihn nicht in diesem Briefe auf heute um eine
Zusammenkunft hier auf Dosalo gebeten?—Es ist wahr, es hat ihm nicht
beliebet, mir schriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, dass er eine
Stunde darauf wirklich nach Dosalo abgefahren. Ich glaubte, das sei
Antworts genug, und ich komme.
Zusammenkunft hier auf Dosalo gebeten?—Es ist wahr, es hat ihm nicht
beliebet, mir schriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, dass er eine
Stunde darauf wirklich nach Dosalo abgefahren. Ich glaubte, das sei
Antworts genug, und ich komme.
Marinelli. Ein sonderbarer Zufall!
Orsina. Zufall?—Sie hoeren ja, dass es verabredet worden. So gut als
verabredet. Von meiner Seite der Brief, von seiner die Tat.—Wie er
dasteht, der Herr Marchese! Was er fuer Augen macht! Wundert sich das
Gehirnchen? und worueber denn?
Marinelli. Sie schienen gestern so weit entfernt, dem Prinzen jemals
wieder vor die Augen zu kommen.
Orsina. Bessrer Rat koemmt ueber Nacht.—Wo ist er? wo ist er?—Was
gilt's, er ist in dem Zimmer, wo ich das Gequieke, das Gekreische
hoerte?—Ich wollte herein, und der Schurke von Bedienten trat vor.
Marinelli. Meine liebste, beste Graefin—Orsina. Es war ein weibliches
Gekreische. Was gilt's, Marinelli?—O sagen Sie mir doch, sagen Sie
mir—wenn ich anders Ihre liebste, beste Graefin bin—Verdammt, ueber
das Hofgeschmeiss! Soviel Worte, soviel Luegen! Nun, was liegt daran,
ob Sie mir es voraussagen oder nicht? Ich werd es ja wohl sehen.
(Will gehen.)
Marinelli (der sie zurueckhaelt). Wohin?
Orsina. Wo ich laengst sein sollte.—Denken Sie, dass es schicklich ist,
mit Ihnen hier in dem Vorgemache einen elenden Schnickschnack zu
halten, indes der Prinz in dem Gemache auf mich wartet?
Marinelli. Sie irren sich, gnaedige Graefin. Der Prinz erwartet Sie
nicht. Der Prinz kann Sie hier nicht sprechen—will Sie nicht
sprechen.
Orsina. Und waere doch hier? und waere doch auf meinen Brief hier?
Marinelli. Nicht auf Ihren Brief—Orsina. Den er ja erhalten, sagen
Sie—Marinelli. Erhalten, aber nicht gelesen.
Sie—Marinelli. Erhalten, aber nicht gelesen.
Orsina (heftig). Nicht gelesen?—(Minder heftig.) Nicht
gelesen?—(Wehmuetig und eine Traene aus dem Auge wischend.) Nicht
einmal gelesen?
Marinelli. Aus Zerstreuung, weiss ich—Nicht aus Verachtung.
Orsina (stolz). Verachtung?—Wer denkt daran?—Wem brauchen Sie das
zu sagen?—Sie sind ein unverschaemter Troester, Marinelli!—Verachtung!
Verachtung! Mich verachtet man auch! mich!—(Gelinder, bis zum Tone
der Schwermut.) Freilich liebt er mich nicht mehr. Das ist ausgemacht.
Und an die Stelle der Liebe trat in seiner Seele etwas anders. Das
ist natuerlich. Aber warum denn eben Verachtung? Es braucht ja nur
Gleichgueltigkeit zu sein. Nicht wahr, Marinelli?
Marinelli. Allerdings, allerdings.
Orsina (hoehnisch). Allerdings?—O des weisen Mannes, den man sagen
lassen kann, was man will!—Gleichgueltigkeit! Gleichgueltigkeit an die
Stelle der Liebe?—Das heisst, nichts an die Stelle von etwas. Denn
lernen Sie, nachplauderndes Hofmaennchen, lernen Sie von einem Weibe,
dass Gleichgueltigkeit ein leeres Wort, ein blosser Schall ist, dem
nichts, gar nichts entspricht. Gleichgueltig ist die Seele nur gegen
das, woran sie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das fuer sie kein Ding
ist. Und nur gleichgueltig fuer ein Ding, das kein Ding ist—das ist
soviel als gar nicht gleichgueltig.—Ist dir das zu hoch, Mensch?
Marinelli (vor sich). O weh! wie wahr ist es, was ich fuerchtete!
Orsina. Was murmeln Sie da?
Marinelli. Lauter Bewunderung!—Und wem ist es nicht bekannt, gnaedige
Graefin, dass Sie eine Philosophin sind?
Graefin, dass Sie eine Philosophin sind?
Orsina. Nicht wahr?—Ja, ja, ich bin eine.—Aber habe ich mir es itzt
merken lassen, dass ich eine bin?—O pfui, wenn ich mir es habe merken
lassen, und wenn ich mir es oefterer habe merken lassen! Ist es wohl
noch Wunder, dass mich der Prinz verachtet? Wie kann ein Mann ein Ding
lieben, das, ihm zum Trotze, auch denken will? Ein Frauenzimmer, das
denkt, ist ebenso ekel als ein Mann, der sich schminket. Lachen soll
es, nichts als lachen, um immerdar den gestrengen Herrn der Schoepfung
bei guter Laune zu erhalten.—Nun, worueber lach ich denn gleich,
Marinelli?—Ach, jawohl! Ueber den Zufall! dass ich dem Prinzen
schreibe, er soll nach Dosalo kommen; dass der Prinz meinen Brief nicht
lieset und dass er doch nach Dosalo koemmt. Ha! ha! ha! Wahrlich ein
sonderbarer Zufall! Sehr lustig, sehr naerrisch!—Und Sie lachen nicht
mit, Marinelli?—Mitlachen kann ja wohl der gestrenge Herr der
Schoepfung, ob wir arme Geschoepfe gleich nicht mitdenken duerfen.
—(Ernsthaft und befehlend.) So lachen Sie doch!
Marinelli. Gleich, gnaedige Graefin, gleich!
Orsina. Stock! Und darueber geht der Augenblick vorbei. Nein, nein,
lachen Sie nur nicht.—Denn sehen Sie, Marinelli, (nachdenkend bis zur
Ruehrung) was mich so herzlich zu lachen macht, das hat auch seine
ernsthafte—sehr ernsthafte Seite. Wie alles in der Welt!—Zufall?
Ein Zufall waer' es, dass der Prinz nicht daran gedacht, mich hier zu
sprechen, und mich doch hier sprechen muss? Ein Zufall?—Glauben Sie
mir, Marinelli: das Wort Zufall ist Gotteslaesterung. Nichts unter der
Sonne ist Zufall—am wenigsten das, wovon die Absicht so klar in die
Augen leuchtet.—Allmaechtige, allguetige Vorsicht, vergib mir, dass ich
mit diesem albernen Suender einen Zufall genennet habe, was so offenbar
dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk ist!—(Hastig gegen
Marinelli.) Kommen Sie mir und verleiten Sie mich noch einmal zu so
einem Frevel!
Marinelli (vor sich). Das geht weit!—Aber gnaedige Graefin….
Orsina. Still mit dem Aber! Die Aber kosten Ueberlegung—und mein
Kopf! mein Kopf! (Sich mit der Hand die Stirne haltend.)—Machen Sie,
Marinelli, machen Sie, dass ich ihn bald spreche, den Prinzen; sonst
bin ich es wohl gar nicht imstande.—Sie sehen, wir sollen uns
sprechen, wir muessen uns sprechen!
Vierter Auftritt
Der Prinz. Orsina. Marinelli.
Der Prinz (indem er aus dem Kabinette tritt, vor sich). Ich muss ihm
zu Hilfe kommen
Orsina (die ihn erblickt, aber unentschluessig bleibt, ob sie auf ihn
zugeben soll). Ha! da ist er.
Der Prinz (geht quer ueber den Saal, bei ihr vorbei, nach den andern
Zimmern, ohne sich im Reden aufzuhalten). Sieh da! unsere schoene
Graefin.—Wie sehr bedaure ich, Madame, dass ich mir die Ehre Ihres
Besuchs fuer heute so wenig zunutze machen kann! Ich bin beschaeftiget.
Ich bin nicht allein.—Ein andermal, meine liebe Graefin! Ein
andermal.—Itzt halten Sie laenger sich nicht auf. Ja nicht laenger!
—Und Sie, Marinelli, ich erwarte Sie.
Zimmern, ohne sich im Reden aufzuhalten). Sieh da! unsere schoene
Graefin.—Wie sehr bedaure ich, Madame, dass ich mir die Ehre Ihres
Besuchs fuer heute so wenig zunutze machen kann! Ich bin beschaeftiget.
Ich bin nicht allein.—Ein andermal, meine liebe Graefin! Ein
andermal.—Itzt halten Sie laenger sich nicht auf. Ja nicht laenger!
—Und Sie, Marinelli, ich erwarte Sie.
Fuenfter Auftritt
Orsina. Marinelli.
Marinelli. Haben Sie es, gnaedige Graefin, nun von ihm selbst gehoert,
was Sie mir nicht glauben wollen?
Orsina (wie betaeubt). Hab ich? hab ich wirklich?
Marinelli. Wirklich.
Orsina (mit Ruehrung). "Ich bin beschaeftiget. Ich bin nicht allein."
Ist das die Entschuldigung ganz, die ich wert bin? Wen weiset man
damit nicht ab? Jeden Ueberlaestigen, jeden Bettler. Fuer mich keine
einzige Luege mehr? Keine einzige kleine Luege mehr, fuer mich?
—Beschaeftiget? womit denn? Nicht allein? wer waere denn bei
ihm?—Kommen Sie, Marinelli; aus Barmherzigkeit, lieber Marinelli!
Luegen Sie mir eines auf eigene Rechnung vor. Was kostet Ihnen denn
eine Luege?—Was hat er zu tun? Wer ist bei ihm?—Sagen Sie mir, sagen
Sie mir, was Ihnen zuerst in den Mund koemmt—und ich gehe.
Marinelli (vor sich). Mit dieser Bedingung kann ich ihr ja wohl einen
Teil der Wahrheit sagen.
Teil der Wahrheit sagen.
Orsina. Nun? Geschwind, Marinelli, und ich gehe.—Er sagte ohnedem,
der Prinz: "Ein andermal, meine liebe Graefin!" Sagte er nicht
so?—Damit er mir Wort haelt, damit er keinen Vorwand hat, mir nicht
Wort zu halten: geschwind, Marinelli, Ihre Luege, und ich gehe.
Marinelli. Der Prinz, liebe Graefin, ist wahrlich nicht allein. Es
sind Personen bei ihm, von denen er sich keinen Augenblick abmuessigen
kann; Personen, die eben einer grossen Gefahr entgangen sind. Der Graf
Appiani.
Orsina. Waere bei ihm?—Schade, dass ich ueber diese Luege Sie ertappen
muss. Geschwind eine andere.—Denn Graf Appiani, wenn Sie es noch
nicht wissen, ist eben von Raeubern erschossen worden. Der Wagen mit
seinem Leichname begegnete mir kurz vor der Stadt.—Oder ist er nicht?
Haette es mir bloss getraeumt?
Marinelli. Leider nicht bloss getraeumt!—Aber die andern, die mit dem
Grafen waren, haben sich gluecklich hieher nach dem Schlosse gerettet:
seine Braut naemlich und die Mutter der Braut, mit welchen er nach
Sabionetta zu seiner feierlichen Verbindung fahren wollte.
Grafen waren, haben sich gluecklich hieher nach dem Schlosse gerettet:
seine Braut naemlich und die Mutter der Braut, mit welchen er nach
Sabionetta zu seiner feierlichen Verbindung fahren wollte.
Orsina. Also die? Die sind bei dem Prinzen? Die Braut? und die
Mutter der Braut?—Ist die Braut schoen?
Mutter der Braut?—Ist die Braut schoen?
Marinelli. Dem Prinzen geht ihr Unfall ungemein nahe.
Orsina. Ich will hoffen, auch wenn sie haesslich waere. Denn ihr
Schicksal ist schrecklich.—Armes gutes Maedchen, eben da er dein auf
immer werden sollte, wird er dir auf immer entrissen!—Wer ist sie
denn, diese Braut? Kenn ich sie gar?—Ich bin so lange aus der Stadt,
dass ich von nichts weiss.
Marinelli. Es ist Emilia Galotti.
Orsina. Wer?—Emilia Galotti? Emilia Galotti?—Marinelli! dass ich
diese Luege nicht fuer Wahrheit nehme!
Marinelli. Wieso?
Orsina. Emilia Galotti?
Marinelli. Die Sie schwerlich kennen werden—Orsina. Doch! doch!
Wenn es auch nur von heute waere.—Im Ernst, Marinelli? Emilia
Galotti?—Emilia Galotti waere die unglueckliche Braut, die der Prinz
troestet?
Wenn es auch nur von heute waere.—Im Ernst, Marinelli? Emilia
Galotti?—Emilia Galotti waere die unglueckliche Braut, die der Prinz
troestet?
Marinelli (vor sich). Sollte ich ihr schon zuviel gesagt haben?
Orsina. Und Graf Appiani war der Braeutigam dieser Braut? der eben
erschossene Appiani?
Marinelli. Nicht anders.
Orsina. Bravo! o bravo! bravo! (In die Haende schlagend.)
Marinelli. Wie das?
Orsina. Kuessen moecht' ich den Teufel, der ihn dazu verleitet hat!
Marinelli. Wen? verleitet? wozu?
Orsina. Ja, kuessen, kuessen moecht' ich ihn—Und wenn Sie selbst dieser
Teufel waeren, Marinelli.
Teufel waeren, Marinelli.
Marinelli. Graefin!
Orsina. Kommen Sie her! Sehen Sie mich an! steif an! Aug' in Auge!
Marinelli. Nun?
Orsina. Wissen Sie nicht, was ich denke?
Marinelli. Wie kann ich das?
Orsina. Haben Sie keinen Anteil daran?
Marinelli. Woran?
Orsina. Schwoeren Sie!—Nein, schwoeren Sie nicht. Sie moechten eine
Suende mehr begehen.—Oder ja, schwoeren Sie nur. Eine Suende mehr oder
weniger fuer einen, der doch verdammt ist!—Haben Sie keinen Anteil
daran?
Marinelli. Sie erschrecken mich, Graefin.
Orsina. Gewiss?—Nun, Marinelli, argwohnet Ihr gutes Herz auch nichts?
Marinelli. Was? worueber?
Orsina. Wohl—so will ich Ihnen etwas vertrauen—etwas, das Ihnen
jedes Haar auf dem Kopfe zu Berge straeuben soll.—Aber hier, so nahe
an der Tuere, moechte uns jemand hoeren. Kommen Sie hierher!—Und!
(Indem sie den Finger auf den Mund legt) Hoeren Sie! ganz in geheim!
ganz in geheim! (und ihren Mund seinem Ohre naehert, als ob sie ihm
zufluestern wollte, was sie aber sehr laut ihm zuschreiet.) Der Prinz
ist ein Moerder!
Marinelli. Graefin—Graefin—sind Sie ganz von Sinnen?
Orsina. Von Sinnen? Ha! ha! ha! (Aus vollem Halse lachend.) Ich bin
selten oder nie mit meinem Verstande so wohl zufrieden gewesen als
eben itzt.—Zuverlaessig, Marinelli—aber es bleibt unter uns—(leise)
der Prinz ist ein Moerder! des Grafen Appiani Moerder!—Den haben nicht
Raeuber, den haben Helfershelfer des Prinzen, den hat der Prinz
umgebracht!
Marinelli. Wie kann Ihnen so eine Abscheulichkeit in den Mund, in die
Gedanken kommen?
Gedanken kommen?
Orsina. Wie?—Ganz natuerlich.—Mit dieser Emilia Galotti—die hier
bei ihm ist—deren Braeutigam so ueber Hals ueber Kopf sich aus der Welt
trollen muessen—mit dieser Emilia Galotti hat der Prinz heute morgen,
in der Halle bei den Dominikanern, ein Langes und Breites gesprochen.
Das weiss ich, das haben meine Kundschafter gesehen. Sie haben auch
gehoert, was er mit ihr gesprochen—Nun, guter Herr? Bin ich von
Sinnen? Ich reime, daecht' ich, doch noch ziemlich zusammen, was
zusammen gehoert.—Oder trifft auch das nur so von ungefaehr zu? Ist
Ihnen auch das Zufall? Oh, Marinelli, so verstehen Sie auf die
Bosheit der Menschheit sich ebenso schlecht als auf die Vorsicht.
Marinelli. Graefin, Sie wuerden sich um den Hals reden
Orsina. Wenn ich das mehrern sagte?—Desto besser, desto besser!
—Morgen will ich es auf dem Markte ausrufen.—Und wer mir
widerspricht—wer mir widerspricht, der war des Moerders Spiessgeselle.
—Leben Sie wohl. (Indem sie fortgehen will, begegnet sie an der Tuere
dem alten Galotti, der eiligst hereintritt.)
Sechster Auftritt
Odoardo Galotti. Die Graefin. Marinelli.
Odoardo Galotti. Verzeihen Sie, gnaedige Frau—Orsina. Ich habe hier
nichts zu verzeihen. Denn ich habe hier nichts uebelzunehmen—An
diesen Herrn wenden Sie sich. (Ihn nach dem Marinelli weisend.)
Marinelli (indem er ihn erblicket, vor sich). Nun vollends! der Alte!
—Odoardo. Vergeben Sie, mein Herr, einem Vater, der in der aeussersten
Bestuerzung ist—dass er so unangemeldet hereintritt.
—Odoardo. Vergeben Sie, mein Herr, einem Vater, der in der aeussersten
Bestuerzung ist—dass er so unangemeldet hereintritt.
Orsina. Vater? (Kehrt wieder um.) Der Emilia, ohne Zweifel.—Ha,
willkommen!
Odoardo. Ein Bedienter kam mir entgegengesprengt, mit der Nachricht,
dass hierherum die Meinigen in Gefahr waeren. Ich fliege herzu und hoere,
dass der Graf Appiani verwundet worden, dass er nach der Stadt
zurueckgekehret, dass meine Frau und Tochter sich in das Schloss gerettet.
—Wo sind sie, mein Herr? wo sind sie?
Marinelli. Sein Sie ruhig, Herr Oberster. Ihrer Gemahlin und Ihrer
Tochter ist nichts Uebels widerfahren, den Schreck ausgenommen. Sie
befinden sich beide wohl. Der Prinz ist bei ihnen. Ich gehe sogleich,
Sie zu melden.
Tochter ist nichts Uebels widerfahren, den Schreck ausgenommen. Sie
befinden sich beide wohl. Der Prinz ist bei ihnen. Ich gehe sogleich,
Sie zu melden.
Odoardo. Warum melden? erst melden?
Marinelli. Aus Ursachen—von wegen—Von wegen des Prinzen. Sie
wissen, Herr Oberster, wie Sie mit dem Prinzen stehen. Nicht auf dem
freundschaftlichsten Fusse. So gnaedig er sich gegen Ihre Gemahlin und
Tochter bezeiget—es sind Damen—Wird darum auch Ihr unvermuteter
Anblick ihm gelegen sein?
Odoardo. Sie haben recht, mein Herr, Sie haben redet.
Marinelli. Aber, gnaedige Graefin—kann ich vorher die Ehre haben, Sie
nach Ihrem Wagen zu begleiten?
Orsina. Nicht doch, nicht doch.
Marinelli (sie bei der Hand nicht unsanft ergreifend). Erlauben Sie,
dass ich meine Schuldigkeit beobachte.—Orsina. Nur gemach!—Ich
erlasse Sie deren, mein Herr! Dass doch immer Ihresgleichen
Hoeflichkeit zur Schuldigkeit machen, um, was eigentlich ihre
Schuldigkeit waere, als die Nebensache betreiben zu duerfen!—Diesen
wuerdigen Mann je eher, je lieber zu melden, das ist Ihre Schuldigkeit.
Marinelli. Vergessen Sie, was Ihnen der Prinz selbst befohlen?
Orsina. Er komme und befehle mir es noch einmal. Ich erwarte ihn.
Marinelli (leise zu dem Obersten, den er beiseite ziehet). Mein Herr,
ich muss Sie hier mit einer Dame lassen, die—der—mit deren
Verstande—Sie verstehen mich. Ich sage Ihnen dieses, damit Sie
wissen, was Sie auf ihre Reden zu geben haben—deren sie oft sehr
seltsame fuehret. Am besten, Sie lassen sich mit ihr nicht ins Wort.
Odoardo. Recht wohl.—Eilen Sie nur, mein Herr.
Siebenter Auftritt
Die Graefin Orsina. Odoardo Galotti.
Orsina (nach einigem Stillschweigen, unter welchem sie den Obersten
mit Mitleid betrachtet, so wie er sie mit einer fluechtigen Neugierde).
Was er Ihnen auch da gesagt hat, ungluecklicher Mann!—Odoardo (halb
vor sich, halb gegen sie). Ungluecklicher?
Orsina. Eine Wahrheit war es gewiss nicht—am wenigsten eine von denen,
die auf Sie warten.
Odoardo. Auf mich warten?—Weiss ich nicht schon genug?—Madame!—Aber,
reden Sie nur, reden Sie nur.
Orsina. Sie wissen nichts.
Odoardo. Nichts?
Orsina. Guter, lieber Vater!—Was gaebe ich darum, wenn Sie auch mein
Vater waeren!—Verzeihen Sie! Die Ungluecklichen ketten sich so gern
aneinander.—Ich wollte treulich Schmerz und Wut mit Ihnen teilen.
Odoardo. Schmerz und Wut? Madame!—Aber ich vergesse—Reden Sie nur.
Orsina. Wenn es gar Ihre einzige Tochter—Ihr einziges Kind waere!
—Zwar einzig oder nicht. Das unglueckliche Kind ist immer das einzige.
—Zwar einzig oder nicht. Das unglueckliche Kind ist immer das einzige.
Odoardo. Das unglueckliche?—Madame!—Was will ich von ihr?—Doch, bei
Gott, so spricht keine Wahnwitzige!
Gott, so spricht keine Wahnwitzige!
Orsina. Wahnwitzige? Das war es also, was er Ihnen von mir
vertraute?—Nun, nun, es mag leicht keine von seinen groebsten Luegen
sein.—Ich fuehle so was!—Und glauben Sie, glauben Sie mir: Wer ueber
gewisse Dinge den Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu
verlieren.—Odoardo. Was soll ich denken?
Orsina. Dass Sie mich also ja nicht verachten!—Denn auch Sie haben
Verstand, guter Alter, auch Sie.—Ich seh es an dieser entschlossenen,
ehrwuerdigen Miene. Auch Sie haben Verstand; und es kostet mich ein
Wort—so haben Sie keinen.
Verstand, guter Alter, auch Sie.—Ich seh es an dieser entschlossenen,
ehrwuerdigen Miene. Auch Sie haben Verstand; und es kostet mich ein
Wort—so haben Sie keinen.
Odoardo. Madame!—Madame!—Ich habe schon keinen mehr, noch ehe Sie
mir dieses Wort sagen, wenn Sie mir es nicht bald sagen.—Sagen Sie es!
sagen Sie es! Oder es ist nicht wahr—es ist nicht wahr, dass Sie von
jener guten, unsers Mitleids, unserer Hochachtung so wuerdigen Gattung
der Wahnwitzigen sind—Sie sind eine gemeine Toerin. Sie haben nicht,
was Sie nie hatten.
Orsina. So merken Sie auf!—Was wissen Sie, der Sie schon genug
wissen wollen? Dass Appiani verwundet worden? Nur verwundet?—Appiani
ist tot!
Odoardo. Tot? tot?—Ha, Frau, das ist wider die Abrede. Sie wollten
mich um den Verstand bringen: und Sie brechen mir das Herz.
Orsina. Das beiher!—Nur weiter.—Der Braeutigam ist tot, und die
Braut—Ihre Tochter—schlimmer als tot.
Braut—Ihre Tochter—schlimmer als tot.
Odoardo. Schlimmer? schlimmer als tot?—Aber doch zugleich auch
tot?—Denn ich kenne nur ein Schlimmeres—Orsina. Nicht zugleich auch
tot. Nein, guter Vater, nein!—Sie lebt, sie lebt. Sie wird nun erst
recht anfangen zu leben.—Ein Leben voll Wonne! Das schoenste,
lustigste Schlaraffenleben—solang es dauert.
Odoardo. Das Wort, Madame, das einzige Wort, das mich um den Verstand
bringen soll! heraus damit!—Schuetten Sie nicht Ihren Tropfen Gift in
einen Eimer.—Das einzige Wort! geschwind.
Orsina. Nun da, buchstabieren Sie es zusammen!—Des Morgens sprach
der Prinz Ihre Tochter in der Messe, des Nachmittags hat er sie auf
seinem Lust—Lustschlosse.
Odoardo. Sprach sie in der Messe? Der Prinz meine Tochter?
Orsina. Mit einer Vertraulichkeit! mit einer Inbrunst!—Sie hatten
nichts Kleines abzureden. Und recht gut, wenn es abgeredet worden,
recht gut, wenn Ihre Tochter freiwillig sich hierher gerettet! Sehen
Sie: so ist es doch keine gewaltsame Entfuehrung, sondern bloss ein
kleiner—kleiner Meuchelmord.
Odoardo. Verleumdung! verdammte Verleumdung! Ich kenne meine Tochter.
Ist es Meuchelmord, so ist es auch Entfuehrung.—(Blickt wild um sich
und stampft und schaeumet.) Nun, Claudia? Nun, Muetterchen?—Haben wir
nicht Freude erlebt! O des gnaedigen Prinzen! O der ganz besondern
Ehre!
Orsina. Wirkt es, Alter! wirkt es?
Odoardo. Da steh ich nun vor der Hoehle des Raeubers—(indem er den
Rock von beiden Seiten auseinanderschlaegt und sich ohne Gewehr sieht.)
Wunder, dass ich aus Eilfertigkeit nicht auch die Haende zurueckgelassen!
—(An alle Schubsaecke fuehlend, als etwas suchend.) Nichts! gar nichts!
nirgends!
Rock von beiden Seiten auseinanderschlaegt und sich ohne Gewehr sieht.)
Wunder, dass ich aus Eilfertigkeit nicht auch die Haende zurueckgelassen!
—(An alle Schubsaecke fuehlend, als etwas suchend.) Nichts! gar nichts!
nirgends!
Orsina. Ha, ich verstehe!—Damit kann ich aushelfen!—Ich hab einen
mitgebracht. (Einen Dolch hervorziehend.) Da nehmen Sie! Nehmen Sie
geschwind, eh' uns jemand sieht!—Auch haette ich noch etwas—Gift.
Aber Gift ist nur fuer uns Weiber, nicht fuer Maenner.—Nehmen Sie ihn!
(Ihm den Dolch aufdraengend.) Nehmen Sie!
Odoardo. Ich danke, ich danke.—Liebes Kind, wer wieder sagt, dass du
eine Naerrin bist, der hat es mit mir zu tun.
Orsina. Stecken Sie beiseite! geschwind beiseite!—Mir—wird die
Gelegenheit versagt, Gebrauch davon zu machen. Ihnen wird sie nicht
fehlen, diese Gelegenheit, und Sie werden sie ergreifen, die erste,
die beste—wenn Sie ein Mann sind.—Ich, ich bin nur ein Weib, aber so
kam ich her! fest entschlossen!—Wir, Alter, wir koennen uns alles
vertrauen. Denn wir sind beide beleidiget, von dem naemlichen
Verfuehrer beleidiget.—Ah, wenn Sie wuessten—wenn sie wuessten, wie
ueberschwenglich, wie unaussprechlich, wie unbegreiflich ich von ihm
beleidiget worden und noch werde—Sie koennten, Sie wuerden Ihre eigene
Beleidigung darueber vergessen.—Kennen Sie mich? Ich bin Orsina, die
betrogene, verlassene Orsina.—Zwar vielleicht nur um Ihre Tochter
verlassen.—Doch was kann Ihre Tochter dafuer?—Bald wird auch sie
verlassen sein.—Und dann wieder eine!—Und wieder eine!—Ha! (wie in
der Entzueckung) welch eine himmlische Phantasie! Wann wir einmal
alle—wir, das ganze Heer der Verlassenen—wir alle in Bacchantinnen,
in Furien verwandelt, wenn wir alle ihn unter uns haetten, ihn unter
uns zerrissen, zerfleischten, sein Eingeweide durchwuehlten—um das
Herz zu finden, das der Verraeter einer jeden versprach und keiner gab!
Ha! das sollte ein Tanz werden! das sollte!
Achter Auftritt
Claudia Galotti. Die Vorigen.
Claudia (die im Hereintreten sich umsiehet und, sobald sie ihren
Gemahl erblickt, auf ihn zuflieget). Erraten!—Ah, unser Beschuetzer,
unser Retter! Bist du da, Odoardo? Bist du da?—Aus ihren Wispern,
aus ihren Mienen schloss ich es.—Was soll ich dir sagen, wenn du noch
nichts weisst?—Was soll ich dir sagen, wenn du schon alles
weisst?—Aber wir sind unschuldig. Ich bin unschuldig. Deine Tochter
ist unschuldig. Unschuldig, in allem unschuldig!
Odoardo (der sich bei Erblickung seiner Gemahlin zu fassen gesucht).
Gut, gut. Sei nur ruhig, nur ruhig—und antworte mir. (Gegen die
Orsina.) Nicht, Madame, als ob ich noch zweifelte—Ist der Graf tot?
Gut, gut. Sei nur ruhig, nur ruhig—und antworte mir. (Gegen die
Orsina.) Nicht, Madame, als ob ich noch zweifelte—Ist der Graf tot?
Claudia. Tot.
Odoardo. Ist es wahr, dass der Prinz heute morgen Emilien in der Messe
gesprochen?
Claudia. Wahr. Aber wenn du wuesstest, welchen Schreck es ihr
verursacht, in welcher Bestuerzung sie nach Hause kam-Orsina. Nun, hab
ich gelogen?
Odoardo (mit einem bittern Lachen). Ich wollt' auch nicht, Sie haetten!
Um wie vieles nicht!
Um wie vieles nicht!
Orsina. Bin ich wahnwitzig?
Odoardo (wild hin und her gehend). Oh—noch bin ich es auch nicht.
—Claudia. Du gebotest mir ruhig zu sein, und ich bin ruhig.—Bester
Mann, darf auch ich—ich dich bitten—Odoardo. Was willst du? Bin ich
nicht ruhig? Kann man ruhiger sein, als ich bin? (Sich zwingend.)
Weiss es Emilia, dass Appiani tot ist?
—Claudia. Du gebotest mir ruhig zu sein, und ich bin ruhig.—Bester
Mann, darf auch ich—ich dich bitten—Odoardo. Was willst du? Bin ich
nicht ruhig? Kann man ruhiger sein, als ich bin? (Sich zwingend.)
Weiss es Emilia, dass Appiani tot ist?
Claudia. Wissen kann sie es nicht. Aber ich fuerchte, dass sie es
argwohnet, weil er nicht erscheinet.—Odoardo. Und sie jammert und
winselt.—Claudia. Nicht mehr.—Das ist vorbei: nach ihrer Art, die du
kennest. Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers
Geschlechts. Ihrer ersten Eindruecke nie maechtig, aber nach der
geringsten Ueberlegung in alles sich findend, auf alles gefasst. Sie
haelt den Prinzen in einer Entfernung, sie spricht mit ihm in einem
Tone—Mache nur, Odoardo, dass wir wegkommen.
Odoardo. Ich bin zu Pferde.—Was zu tun?—Doch, Madame, Sie fahren ja
nach der Stadt zurueck?
Orsina. Nicht anders.
Odoardo. Haetten Sie wohl die Gewogenheit, meine Frau mit sich zu
nehmen?
Orsina. Warum nicht? Sehr gern.
Odoardo. Claudia—(ihr die Graefin bekannt machend) die Graefin Orsina,
eine Dame von grossem Verstande, meine Freundin, meine Wohltaeterin.—Du
musst mit ihr herein, um uns sogleich den Wagen herauszuschicken.
Emilia darf nicht wieder nach Guastalla. Sie soll mit mir.
Claudia. Aber—wenn nur—Ich trenne mich ungern von dem Kinde.
Odoardo. Bleibt der Vater nicht in der Naehe? Man wird ihn endlich
doch vorlassen. Keine Einwendung!—Kommen Sie, gnaedige Frau. (Leise
zu ihr.) Sie werden von mir hoeren.—Komm, Claudia. (Er fuehrt sie ab.)
Fuenfter Aufzug
Die Szene bleibt.
Erster Auftritt
Marinelli. Der Prinz.
Marinelli. Hier, gnaediger Herr, aus diesem Fenster koennen Sie ihn
sehen. Er geht die Arkade auf und nieder.—Eben biegt er ein, er
koemmt.—Nein, er kehrt wieder um.—Ganz einig ist er mit sich noch
nicht. Aber um ein Grosses ruhiger ist er—oder scheinet er. Fuer uns
gleichviel!—Natuerlich! Was ihm auch beide Weiber in den Kopf gesetzt
haben, wird er es wagen zu aeussern?—Wie Battista gehoert, soll ihm
seine Frau den Wagen sogleich heraussenden. Denn er kam zu Pferde.
—Geben Sie acht, wenn er nun vor Ihnen erscheinet, wird er ganz
untertaenigst Eurer Durchlaucht fuer den gnaedigen Schutz danken, den
seine Familie bei diesem so traurigen Zufalle hier gefunden; wird sich,
mitsamt seiner Tochter, zu fernerer Gnade empfehlen; wird sie ruhig
nach der Stadt bringen und es in tiefster Unterwerfung erwarten,
welchen weitern Anteil Euer Durchlaucht an seinem ungluecklichen,
lieben Maedchen zu nehmen geruhen wollen.
Der Prinz. Wenn er nun aber so zahm nicht ist? Und schwerlich,
schwerlich wird er es sein. Ich kenne ihn zu gut.—Wenn er hoechstens
seinen Argwohn erstickt, seine Wut verbeisst: aber Emilien, anstatt sie
nach der Stadt zu fuehren, mit sich nimmt? bei sich behaelt? oder wohl
gar in ein Kloster, ausser meinem Gebiete, verschliesst? Wie dann?
Marinelli. Die fuerchtende Liebe sieht weit. Wahrlich!—Aber er wird
ja nicht—Der Prinz. Wenn er nun aber! Wie dann? Was wird es uns
dann helfen, dass der unglueckliche Graf sein Leben darueber verloren?
Marinelli. Wozu dieser traurige Seitenblick? Vorwaerts! denkt der
Sieger, es falle neben ihm Feind oder Freund.—Und wenn auch! Wenn er
es auch wollte, der alte Neidhart, was Sie von ihm fuerchten, Prinz.
—(Ueberlegend.) Das geht! Ich hab es!—Weiter als zum Wollen soll er
es gewiss nicht bringen. Gewiss nicht!—Aber dass wir ihn nicht aus dem
Gesichte verlieren.—(Tritt wieder ans Fenster.) Bald haett' er uns
ueberrascht! Er koemmt.—Lassen Sie uns ihm noch ausweichen, und hoeren
Sie erst, Prinz, was wir auf den zu befuerchtenden Fall tun muessen.
Der Prinz (drohend). Nur, Marinelli!—Marinelli. Das Unschuldigste
von der Welt!
Zweiter Auftritt
Odoardo Galotti. Noch niemand hier?—Gut, ich soll noch kaelter werden.
Es ist mein Glueck.—Nichts veraechtlicher als ein brausender
Juenglingskopf mit grauen Haaren! Ich hab es mir so oft gesagt. Und
doch liess ich mich fortreissen: und von wem? Von einer Eifersuechtigen,
von einer fuer Eifersucht Wahnwitzigen.—Was hat die gekraenkte Tugend
mit der Rache des Lasters zu schaffen? Jene allein hab ich zu retten.
—Und deine Sache—mein Sohn! mein Sohn!—Weinen konnt' ich nie—und
will es nun nicht erst lernen—Deine Sache wird ein ganz anderer zu
seiner machen! Genug fuer mich, wenn dein Moerder die Frucht seines
Verbrechens nicht geniesst.—Dies martere ihn mehr als das Verbrechen!
Wenn nun bald ihn Saettigung und Ekel von Luesten zu Luesten treiben, so
vergaelle die Erinnerung, diese eine Lust nicht gebuesset zu haben, ihm
den Genuss aller! In jedem Traume fuehre der blutige Braeutigam ihm die
Braut vor das Bette, und wann er dennoch den wolluestigen Arm nach ihr
ausstreckt, so hoere er ploetzlich das Hohngelaechter der Hoelle und
erwache!
Dritter Auftritt
Marinelli. Odoardo Galotti.
Marinelli. Wo blieben Sie, mein Herr? wo blieben Sie?
Odoardo. War meine Tochter hier?
Marinelli. Nicht sie, aber der Prinz.
Odoardo. Er verzeihe.—Ich habe die Graefin begleitet.
Marinelli. Nun?
Odoardo. Die gute Dame!
Marinelli. Und Ihre Gemahlin?
Odoardo. Ist mit der Graefin—um uns den Wagen sogleich herauszusenden.
Der Prinz vergoenne nur, dass ich mich so lange mit meiner Tochter
noch hier verweile.
Marinelli. Wozu diese Umstaende? Wuerde sich der Prinz nicht ein
Vergnuegen daraus gemacht haben, sie beide, Mutter und Tochter, selbst
nach der Stadt zu bringen?
Odoardo. Die Tochter wenigstens wuerde diese Ehre haben verbitten
muessen.
Marinelli. Wieso?
Odoardo. Sie soll nicht mehr nach Guastalla.
Marinelli. Nicht? und warum nicht?
Odoardo. Der Graf ist tot.
Marinelli. Um so viel mehr—Odoardo. Sie soll mit mir.
Marinelli. Mit Ihnen?
Odoardo. Mit mir. Ich sage Ihnen ja, der Graf ist tot.—Wenn Sie es
noch nicht wissen—Was hat sie nun weiter in Guastalla zu tun?—Sie
soll mit mir.
Marinelli. Allerdings wird der kuenftige Aufenthalt der Tochter einzig
von dem Willen des Vaters abhangen. Nur vors erste—Odoardo. Was vors
erste?
Marinelli. Werden Sie wohl erlauben muessen, Herr Oberster, dass sie
nach Guastalla gebracht wird.
Odoardo. Meine Tochter? nach Guastalla gebracht wird? und warum?
Marinelli. Warum? Erwaegen Sie doch nur—Odoardo (hitzig). Erwaegen!
erwaegen! Ich erwaege, dass hier nichts zu erwaegen ist.—Sie soll, sie
muss mit mir.
Marinelli. O mein Herr—was brauchen wir uns hierueber zu ereifern?
Es kann sein, dass ich mich irre, dass es nicht noetig ist, was ich fuer
noetig halte.—Der Prinz wird es am besten zu beurteilen wissen. Der
Prinz entscheide.—Ich geh und hole ihn.
Es kann sein, dass ich mich irre, dass es nicht noetig ist, was ich fuer
noetig halte.—Der Prinz wird es am besten zu beurteilen wissen. Der
Prinz entscheide.—Ich geh und hole ihn.
Vierter Auftritt
Odoardo Galotti. Wie?—Nimmermehr!—Mir vorschreiben, wo sie hin
soll?—Mir sie vorenthalten?—Wer will das? Wer darf das?—Der hier
alles darf, was er will? Gut, gut, so soll er sehen, wieviel auch ich
darf, ob ich es schon nicht duerfte! Kurzsichtiger Wueterich! Mit dir
will ich es wohl aufnehmen. Wer kein Gesetz achtet, ist ebenso
maechtig, als wer kein Gesetz hat. Das weisst du nicht? Komm an! komm
an!—Aber, sieh da! Schon wieder, schon wieder rennet der Zorn mit
dem Verstande davon.—Was will ich? Erst muesst' es doch geschehen sein,
worueber ich tobe. Was plaudert nicht eine Hofschranze! Und haette
ich ihn doch nur plaudern lassen! Haette ich seinen Vorwand, warum sie
wieder nach Guastalla soll, doch nur angehoert!—So koennte ich mich
itzt auf eine Antwort gefasst machen.—Zwar auf welchen kann mir eine
fehlen?—Sollte sie mir aber fehlen, sollte sie—Man koemmt. Ruhig,
alter Knabe, ruhig!
Fuenfter Auftritt
Der Prinz. Marinelli. Odoardo Galotti.
Der Prinz. Ah, mein lieber, rechtschaffner Galotti—so etwas muss auch
geschehen, wenn ich Sie bei mir sehen soll. Um ein Geringeres tun Sie
es nicht. Doch keine Vorwuerfe!
Odoardo. Gnaediger Herr, ich halte es in allen Faellen fuer unanstaendig,
sich zu seinem Fuersten zu draengen. Wen er kennt, den wird er fodern
lassen, wenn er seiner bedarf. Selbst itzt bitte ich um
Verzeihung—Der Prinz. Wie manchem andern wollte ich diese stolze
Bescheidenheit wuenschen!—Doch zur Sache. Sie werden begierig sein,
Ihre Tochter zu sehen. Sie ist in neuer Unruhe wegen der ploetzlichen
Entfernung einer so zaertlichen Mutter.—Wozu auch diese Entfernung?
Ich wartete nur, dass die liebenswuerdige Emilie sich voellig erholet
haette, um beide im Triumphe nach der Stadt zu bringen. Sie haben mir
diesen Triumph um die Haelfte verkuemmert, aber ganz werde ich mir ihn
nicht nehmen lassen.
Odoardo. Zu viel Gnade!—Erlauben Sie, Prinz, dass ich meinem
ungluecklichen Kinde alle die mannigfaltigen Kraenkungen erspare, die
Freund und Feind, Mitleid und Schadenfreude in Guastalla fuer sie
bereit halten.
Der Prinz. Um die suessen Kraenkungen des Freundes und des Mitleids,
wuerde es Grausamkeit sein, sie zu bringen. Dass aber die Kraenkungen
des Feindes und der Schadenfreude sie nicht erreichen sollen, dafuer,
lieber Galotti, lassen Sie mich sorgen.
Odoardo. Prinz, die vaeterliche Liebe teilet ihre Sorgen nicht gern.
—Ich denke, ich weiss es, was meiner Tochter in ihren itzigen
Umstaenden einzig ziemet—Entfernung aus der Welt—ein Kloster—sobald
als moeglich.
—Ich denke, ich weiss es, was meiner Tochter in ihren itzigen
Umstaenden einzig ziemet—Entfernung aus der Welt—ein Kloster—sobald
als moeglich.
Der Prinz. Ein Kloster?
Odoardo. Bis dahin weine sie unter den Augen ihres Vaters.
Der Prinz. So viel Schoenheit soll in einem Kloster verbluehen?—Darf
eine einzige fehlgeschlagene Hoffnung uns gegen die Welt so
unversoehnlich machen?—Doch allerdings: dem Vater hat niemand
einzureden. Bringen Sie Ihre Tochter, Galotti, wohin Sie wollen.
Odoardo (gegen Marinelli). Nun, mein Herr?
Marinelli. Wenn Sie mich sogar auffodern!
Odoardo. O mitnichten, mitnichten.
Der Prinz. Was haben Sie beide?
Odoardo. Nichts, gnaediger Herr, nichts.—Wir erwaegen bloss, welcher
von uns sich in Ihnen geirret hat.
Der Prinz. Wieso?—Reden Sie, Marinelli.
Marinelli. Es geht mir nahe, der Gnade meines Fuersten in den Weg zu
treten. Doch wenn die Freundschaft gebietet, vor allem in ihm den
Richter aufzufodern—Der Prinz. Welche Freundschaft?—Marinelli. Sie
wissen, gnaediger Herr, wie sehr ich den Grafen Appiani liebte, wie
sehr unser beider Seelen ineinander verwebt schienen—Odoardo. Das
wissen Sie, Prinz? So wissen Sie es wahrlich allein.
Marinelli. Von ihm selbst zu seinem Raecher bestellet—Odoardo. Sie?
Marinelli. Fragen Sie nur Ihre Gemahlin. Marinelli, der Name
Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen, und in einem Tone!
in einem Tone!—Dass er mir nie aus dem Gehoere komme, dieser
schreckliche Ton, wenn ich nicht alles anwende, dass seine Moerder
entdeckt und bestraft werden!
Der Prinz. Rechnen Sie auf meine kraeftigste Mitwirkung.
Odoardo. Und meine heissesten Wuensche!—Gut, gut!—Aber was weiter?
Der Prinz. Das frag ich, Marinelli.
Marinelli. Man hat Verdacht, dass es nicht Raeuber gewesen, welche den
Grafen angefallen.
Grafen angefallen.
Odoardo (hoehnisch). Nicht? Wirklich nicht?
Marinelli. Dass ein Nebenbuhler ihn aus dem Wege raeumen lassen.
Odoardo (bitter). Ei! Ein Nebenbuhler?
Marinelli. Nicht anders.
Odoardo. Nun dann—Gott verdamm' ihn, den meuchelmoerderischen Buben!
Marinelli. Ein Nebenbuhler, und ein beguenstigter Nebenbuhler—Odoardo.
Was? ein beguenstigter?—Was sagen Sie?
Was? ein beguenstigter?—Was sagen Sie?
Marinelli. Nichts, als was das Geruechte verbreitet.
Odoardo. Ein beguenstigter? von meiner Tochter beguenstiget?
Marinelli. Das ist gewiss nicht. Das kann nicht sein. Dem
widersprech ich, trotz Ihnen.—Aber bei dem allen, gnaediger Herr—denn
das gegruendetste Vorurteil wieget auf der Waage der Gerechtigkeit
soviel als nichts—bei dem allen wird man doch nicht umhin koennen, die
schoene Unglueckliche darueber zu vernehmen.
Der Prinz. Jawohl, allerdings.
Marinelli. Und wo anders? wo kann das anders geschehen als in
Guastalla?
Guastalla?
Der Prinz. Da haben Sie recht, Marinelli, da haben Sie recht.—Ja so,
das veraendert die Sache, lieber Galotti. Nicht wahr? Sie sehen
selbst—Odoardo. O ja, ich sehe—Ich sehe, was ich sehe.—Gott! Gott!
Der Prinz. Was ist Ihnen? was haben Sie mit sich?
Odoardo. Dass ich es nicht vorausgesehen, was ich da sehe. Das aergert
mich, weiter nichts.—Nun ja, sie soll wieder nach Guastalla. Ich
will sie wieder zu ihrer Mutter bringen, und bis die strengste
Untersuchung sie freigesprochen, will ich selbst aus Guastalla nicht
weichen. Denn wer weiss—(mit einem bittern Lachen) wer weiss, ob die
Gerechtigkeit nicht auch noetig findet, mich zu vernehmen.
Marinelli. Sehr moeglich! In solchen Faellen tut die Gerechtigkeit
lieber zuviel als zuwenig.—Daher fuerchte ich sogar—Der Prinz. Was?
was fuerchten Sie?
Marinelli. Man werde vor der Hand nicht verstatten koennen, dass Mutter
und Tochter sich sprechen.
Odoardo. Sich nicht sprechen?
Marinelli. Man werde genoetiget sein, Mutter und Tochter zu trennen.
Odoardo. Mutter und Tochter zu trennen?
Marinelli. Mutter und Tochter und Vater. Die Form des Verhoers
erfodert diese Vorsichtigkeit schlechterdings. Und es tut mir leid,
gnaediger Herr, dass ich mich gezwungen sehe, ausdruecklich darauf
anzutragen, wenigstens Emilien in eine besondere Verwahrung zu bringen.
Odoardo. Besondere Verwahrung?—Prinz! Prinz!—Doch ja, freilich,
freilich! Ganz recht: in eine besondere Verwahrung! Nicht, Prinz?
nicht?—O wie fein die Gerechtigkeit ist! Vortrefflich! (Faehrt
schnell nach dem Schubsacke, in welchem er den Dolch hat.)
Der Prinz (schmeichelhaft auf ihn zutretend). Fassen Sie sich, lieber
Galotti—Odoardo (beiseite, indem er die Hand leer wieder herauszieht).
Das sprach sein Engel!
Galotti—Odoardo (beiseite, indem er die Hand leer wieder herauszieht).
Das sprach sein Engel!
Der Prinz. Sie sind irrig, Sie verstehen ihn nicht. Sie denken bei
dem Worte Verwahrung wohl gar an Gefaengnis und Kerker.
Odoardo. Lassen Sie mich daran denken: und ich bin ruhig!
Der Prinz. Kein Wort von Gefaengnis, Marinelli! Hier ist die Strenge
der Gesetze mit der Achtung gegen unbescholtene Tugend leicht zu
vereinigen. Wenn Emilia in besondere Verwahrung gebracht werden muss,
so weiss ich schon—die alleranstaendigste. Das Haus meines
Kanzlers—Keinen Widerspruch, Marinelli!—Da will ich sie selbst
hinbringen, da will ich sie der Aufsicht einer der wuerdigsten Damen
uebergeben. Die soll mir fuer sie buergen, haften.—Sie gehen zu weit,
Marinelli, wirklich zu weit, wenn Sie mehr verlangen.—Sie kennen doch,
Galotti, meinen Kanzler Grimaldi und seine Gemahlin?
Odoardo. Was sollt' ich nicht? Sogar die liebenswuerdigen Toechter
dieses edeln Paares kenn ich. Wer kennt sie nicht?—(Zu Marinelli.)
Nein, mein Herr, geben Sie das nicht zu. Wenn Emilia verwahrt werden
muss, so muesse sie in dem tiefsten Kerker verwahret werden. Dringen
Sie darauf, ich bitte Sie.—Ich Tor, mit meiner Bitte! ich alter Geck!
—Jawohl hat sie recht die gute Sibylle: "Wer ueber gewisse Dinge
seinen Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren!"
Der Prinz. Ich verstehe Sie nicht.—Lieber Galotti, was kann ich mehr
tun?—Lassen Sie es dabei, ich bitte Sie.—Ja, ja, in das Haus meines
Kanzlers! da soll sie hin; da bring ich sie selbst hin; und wenn ihr
da nicht mit der aeussersten Achtung begegnet wird, so hat mein Wort
nichts gegolten. Aber sorgen Sie nicht.—Dabei bleibt es! dabei
bleibt es!—Sie selbst, Galotti, mit sich, koennen es halten, wie Sie
wollen.—Sie koennen uns nach Guastalla folgen, Sie koennen nach
Sabionetta zurueckkehren: wie Sie wollen. Es waere laecherlich, Ihnen
vorzuschreiben.—Und nun, auf Wiedersehen, lieber Galotti!—Kommen Sie,
Marinelli, es wird spaet.
Odoardo (der in tiefen Gedanken gestanden). Wie? so soll ich sie gar
nicht sprechen, meine Tochter? Auch hier nicht?—Ich lasse mir ja
alles gefallen, ich finde ja alles ganz vortrefflich. Das Haus eines
Kanzlers ist natuerlicherweise eine Freistatt der Tugend. Oh, gnaediger
Herr, bringen Sie ja meine Tochter dahin, nirgends anders als dahin.
—Aber sprechen wollt' ich sie doch gerne vorher. Der Tod des Grafen
ist ihr noch unbekannt. Sie wird nicht begreifen koennen, warum man
sie von ihren Eltern trennet. Ihr jenen auf gute Art beizubringen,
sie dieser Trennung wegen zu beruhigen—muss ich sie sprechen, gnaediger
Herr, muss ich sie sprechen.
Der Prinz. So kommen Sie denn—Odoardo. Oh, die Tochter kann auch
wohl zu dem Vater kommen.—Hier, unter vier Augen, bin ich gleich mit
ihr fertig. Senden Sie mir sie nur, gnaediger Herr.
Der Prinz. Auch das!—O Galotti, wenn Sie mein Freund, mein Fuehrer,
mein Vater sein wollten! (Der Prinz und Marinelli geben ab.)
Sechster Auftritt
Odoardo Galotti (ihm nachsehend, nach einer Pause). Warum
nicht?—Herzlich gern.—Ha! ha! ha!—(Blickt wild umher.) Wer lacht
da?—Bei Gott, ich glaub, ich war es selbst.—Schon recht! Lustig,
lustig! Das Spiel geht zu Ende. So oder so!—Aber—(Pause) wenn sie
mit ihm sich verstuende? Wenn es das alltaegliche Possenspiel waere?
Wenn sie es nicht wert waere, was ich fuer sie tun will?—(Pause.) Fuer
sie tun will? Was will ich denn fuer sie tun?—Hab ich das Herz, es
mir zu sagen?—Da denk ich so was: So was, was sich nur denken laesst.
—Graesslich! Fort, fort! Ich will sie nicht erwarten. Nein!—(Gegen
den Himmel.) Wer sie unschuldig in diesen Abgrund gestuerzt hat, der
ziehe sie wieder heraus. Was braucht er meine Hand dazu? Fort! (Er
will gehen und sieht Emilien kommen.) Zu spaet! Ah! er will meine Hand,
er will sie!
Siebenter Auftritt
Emilia. Odoardo.
Emilia. Wie? Sie hier, mein Vater?—Und nur Sie?—Und meine Mutter?
nicht hier?—Und der Graf? nicht hier?—Und Sie so unruhig, mein Vater?
Odoardo. Und du so ruhig, meine Tochter?—Emilia. Warum nicht, mein
Vater?—Entweder ist nichts verloren: oder alles. Ruhig sein koennen
und ruhig sein muessen: koemmt es nicht auf eines?
Odoardo. Aber, was meinest du, dass der Fall ist?
Emilia. Dass alles verloren ist—und dass wir wohl ruhig sein muessen,
mein Vater.
Odoardo. Und du waerest ruhig, weil du ruhig sein musst?—Wer bist du?
Ein Maedchen? und meine Tochter? So sollte der Mann und der Vater sich
wohl vor dir schaemen?—Aber lass doch hoeren, was nennest du, alles
verloren?—Dass der Graf tot ist?
Emilia. Und warum er tot ist! Warum! Ha, so ist es wahr, mein
Vater? So ist sie wahr, die ganze schreckliche Geschichte, die ich in
dem nassen und wilden Auge meiner Mutter las?—Wo ist meine Mutter?
Wo ist sie hin, mein Vater?
Vater? So ist sie wahr, die ganze schreckliche Geschichte, die ich in
dem nassen und wilden Auge meiner Mutter las?—Wo ist meine Mutter?
Wo ist sie hin, mein Vater?
Odoardo. Voraus—wenn wir anders ihr nachkommen.
Emilia. Je eher, je besser. Denn wenn der Graf tot ist, wenn er
darum tot ist—darum! was verweilen wir noch hier? Lassen Sie uns
fliehen, mein Vater!
Odoardo. Fliehen?—Was haett' es dann fuer Not?—Du bist, du bleibst in
den Haenden deines Raeubers.
Emilia. Ich bleibe in seinen Haenden?
Odoardo. Und allein, ohne deine Mutter, ohne mich.
Emilia. Ich allein in seinen Haenden?—Nimmermehr, mein Vater.—Oder
Sie sind nicht mein Vater.—Ich allein in seinen Haenden?—Gut, lassen
Sie mich nur, lassen Sie mich nur.—Ich will doch sehn, wer mich
haelt—wer mich zwingt—wer der Mensch ist, der einen Menschen zwingen
kann.
Odoardo. Ich meine, du bist ruhig, mein Kind.
Emilia. Das bin ich. Aber was nennen Sie ruhig sein? Die Haende in
den Schoss legen? Leiden, was man nicht sollte? Dulden, was man nicht
duerfte?
Odoardo. Ha! wenn du so denkest!—Lass dich umarmen, meine Tochter!
—Ich hab es immer gesagt: das Weib wollte die Natur zu ihrem
Meisterstuecke machen. Aber sie vergriff sich im Tone, sie nahm ihn zu
fein. Sonst ist alles besser an euch als an uns.—Ha, wenn das deine
Ruhe ist, so habe ich meine in ihr wiedergefunden! Lass dich umarmen,
meine Tochter!—Denke nur: unter dem Vorwande einer gerichtlichen
Untersuchung—o des hoellischen Gaukelspieles!—reisst er dich aus
unsern Armen und bringt dich zur Grimaldi.
Emilia. Reisst mich? bringt mich?—Will mich reissen, will mich bringen:
will! will!—Als ob wir, wir keinen Willen haetten, mein Vater!
Odoardo. Ich ward auch so wuetend, dass ich schon nach diesem Dolche
griff (ihn herausziehend), um einem von beiden—beiden!—das Herz zu
durchstossen. Emilia. Um des Himmels willen nicht, mein Vater!
—Dieses Leben ist alles, was die Lasterhaften haben.—Mir, mein Vater,
mir geben Sie diesen Dolch.
Odoardo. Kind, es ist keine Haarnadel.
Emilia. So werde die Haarnadel zum Dolche!—Gleichviel.
Odoardo. Was? Dahin waere es gekommen? Nicht doch; nicht doch!
Besinne dich.—Auch du hast nur ein Leben zu verlieren.
Besinne dich.—Auch du hast nur ein Leben zu verlieren.
Emilia. Und nur eine Unschuld!
Odoardo. Die ueber alle Gewalt erhaben ist.—Emilia. Aber nicht ueber
alle Verfuehrung.—Gewalt! Gewalt! wer kann der Gewalt nicht trotzen?
Was Gewalt heisst, ist nichts: Verfuehrung ist die wahre Gewalt.—Ich
habe Blut, mein Vater, so jugendliches, so warmes Blut als eine. Auch
meine Sinne sind Sinne. Ich stehe fuer nichts. Ich bin fuer nichts gut.
Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine
Stunde da, unter den Augen meiner Mutter—und es erhob sich so mancher
Tumult in meiner Seele, den die strengsten Uebungen der Religion kaum
in Wochen besaenftigen konnten!—Der Religion! Und welcher
Religion?—Nichts Schlimmers zu vermeiden, sprangen Tausende in die
Fluten und sind Heilige!—Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir
diesen Dolch.
Odoardo. Und wenn du ihn kenntest, diesen Dolch!—Emilia. Wenn ich
ihn auch nicht kenne!—Ein unbekannter Freund ist auch ein Freund.
—Geben Sie mir ihn, mein Vater, geben Sie mir ihn.
Odoardo. Wenn ich dir ihn nun gebe—da! (Gibt ihr ihn.)
Emilia. Und da! (Im Begriffe, sich damit zu durchstossen, reisst der
Vater ihr ihn wieder aus der Hand.)
Vater ihr ihn wieder aus der Hand.)
Odoardo. Sieh, wie rasch!—Nein, das ist nicht fuer deine Hand.
Emilia. Es ist wahr, mit einer Haarnadel soll ich—(Sie faehrt mit der
Hand nach dem Haare, eine zu suchen, und bekommt die Rose zu fassen.)
Du noch hier?—Herunter mit dir! Du geboetest nicht in das Haar
einer—wie mein Vater will, dass ich werden soll!
Hand nach dem Haare, eine zu suchen, und bekommt die Rose zu fassen.)
Du noch hier?—Herunter mit dir! Du geboetest nicht in das Haar
einer—wie mein Vater will, dass ich werden soll!
Odoardo. Oh, meine Tochter!—Emilia. Oh, mein Vater, wenn ich Sie
erriete!—Doch nein, das wollen Sie auch nicht. Warum zauderten Sie
sonst?—(In einem bittern Tone, waehrend dass sie die Rose zerpflueckt.)
Ehedem wohl gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu
retten, ihr den ersten, den besten Stahl in das Herz senkte—ihr zum
zweiten Male das Leben gab. Aber alle solche Taten sind von ehedem!
Solcher Vaeter gibt es keinen mehr!
Odoardo. Doch, meine Tochter, doch! (Indem er sie durchsticht.)
—Gott, was hab ich getan! (Sie will sinken, und er fasst sie in
seine Arme.)
Emilia. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblaettert.—Lassen
Sie mich sie kuessen, diese vaeterliche Hand.
Sie mich sie kuessen, diese vaeterliche Hand.
Achter Auftritt
Der Prinz. Marinelli. Die Vorigen.
Der Prinz (im Hereintreten). Was ist das?—Ist Emilien nicht wohl?
Odoardo. Sehr wohl, sehr wohl!
Der Prinz (indem er naeher koemmt). Was seh ich?—Entsetzen!
Marinelli. Weh mir!
Der Prinz. Grausamer Vater, was haben Sie getan!
Odoardo. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblaettert.—War es
nicht so, meine Tochter?
Emilia. Nicht Sie, mein Vater—Ich selbst—ich selbst—Odoardo. Nicht
du, meine Tochter—nicht du!—Gehe mit keiner Unwahrheit aus der Welt.
Nicht du, meine Tochter! Dein Vater, dein ungluecklicher Vater!
Emilia. Ah—mein Vater—(Sie stirbt, und er legt sie sanft auf den
Boden.)
Boden.)
Odoardo. Zieh hin!—Nun da, Prinz! Gefaellt sie Ihnen noch? Reizt
sie noch Ihre Lueste? Noch, in diesem Blute, das wider Sie um Rache
schreiet? (Nach einer Pause.) Aber Sie erwarten, wo das alles hinaus
soll? Sie erwarten vielleicht, dass ich den Stahl wider mich selbst
kehren werde, um meine Tat wie eine schale Tragoedie zu beschliessen?
Sie irren sich. Hier! (Indem er ihm den Dolch vor die Fuesse wirft.)
Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens! Ich gehe und
liefere mich selbst in das Gefaengnis. Ich gehe und erwarte Sie als
Richter—Und dann dort—erwarte ich Sie vor dem Richter unser aller!
Der Prinz (nach einigem Stillschweigen, unter welchem er den Koerper
mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zu Marinelli). Hier! heb
ihn auf.—Nun? Du bedenkst dich?—Elender!—(Indem er ihm den Dolch
aus der Hand reisst.) Nein, dein Blut soll mit diesem Blute sich nicht
mischen.—Geh, dich auf ewig zu verbergen!—Geh! sag ich.—Gott! Gott!
—Ist es, zum Ungluecke so mancher, nicht genug, dass Fuersten Menschen
sind: muessen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen?
Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Emilia Galotti, von Gotthold
Ephraim Lessing.
Ephraim Lessing.
End of Project Gutenberg's Emilia Galotti, by Gotthold Ephraim Lessing
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